Meines Vaters Reise auf der Viermastbark "Padua"


Das Tagebuch


Tagebuch


meiner

Segelschulschiff-Reise


mit der

Padua
(Der letzte Kap-Horner der Reederei Laeisz)


von Herbert Schrödter
Schiffsjunge    

Dieser Schreibmaschinentext weicht nur an einigen Stellen stilistisch von dem Originaltext des Tagebuchs ab, das ich als Schiffsjunge an Bord der „Padua“ während der Reise – als 17-Jähriger – geschrieben habe. Nur die Zeit der Seemannsschule (nicht zu verwechseln mit der Seefahrtsschule in Hamburg) und einige Zwischenbemerkungen sind später hinzugefügt.


Tagebuch
Herbert Schrödter
wohnhaft in Berlin-Neukölln, Wildenbruchstraße 10
zur Zeit
auf dem Segelschulschiff „Padua“, Viermastbark der Hamburger Reederei Laeisz

Ich wollte schon immer einen Beruf ergreifen, bei dem ich an der frischen Luft bin. In meinen Jungenjahren dachte ich dabei an Förster oder Gutsverwalter. Schließlich aber schlug ich die Seemannslaufbahn ein, und das kam so: Eines Tages traf ich in Oberschöneweide meinen ehemaligen Schulkameraden Harald Laage, der mit dem Einjährigen abgegangen und zur Handelsmarine gegangen war. Er erzählte mir, daß man für die Laufbahn des Offiziers der Handelsmarine kein Abitur braucht. Voraussetzung war lediglich eine mehrjährige Fahrzeit als Matrose, davon 2 Jahre Segelschiffsfahrzeit, und der erfolgreiche Abschluß der Seefahrtschule, die man dann als Leutnant (Steuer­manns­patent) verließ. Nichtabiturienten mußten nur einen halbjährigen Vorkurs absolvieren. Da dies alles stimmte, schienen mir die 2 Jahre, die ich noch bis zum Abitur brauchte, verlorene Zeit. Mein Vater war einverstanden, und so beschloß ich, Seefahrer zu werden.

Ich fuhr mit Papa nach Hamburg, um mich bei Prof. Steppes, dem Leiter der Seefahrtschule in Hamburg, für die Seemannsschule in FinkenwärderFOTO anzumelden. Der Professor, ein sehr ruhiger und sympathischer Mann, war sehr beeindruckt von der Ordnung und Vollständigkeit meiner Zeugnismappe, die wir ihm vorgelegt hatten.

Dann kam eines Tages die Einberufung nach Finkenwärder zum 1. Januar 1927, und ich fuhr wieder mit Papa dorthin. Auf der Elbfähre trafen wir schon weitere Anwärter. Auch andere Jungen waren mit Ihren Vätern gekommen. Einer der Jungen gibt sich sehr vertraut mit der Seefahrt, setzt sich rittlings auf die Reeling und spielt sich mächtig auf. Sein Vater, ein ev. Pastor, sagt im Gespräch mit meinem Vater so ganz beiläufig: „Mein Junge kennt das alles schon. Der kann hier nicht mehr viel lernen.“ Meinem Vater und mir wurde das Herz etwas schwer angesichts solcher Konkurrenz auf der Schule. Aber es kam dann doch anders. Dieser so tüchtige Junge ging mit dem schlechtesten Zeugnis unseres Lehrgangs ab. Er kam auch nicht auf ein Schulschiff, sondern heuerte auf einem kleinen Kutter an.

Die Ausbildung erfolgte dann in allen praktischen und theoretischen Fächern, die zur Seefahrt gehörten (siehe Zeugnis). Der Leiter der Schule war Kapitän Ölkers, die Ausbilder waren 1 Oberbootsmann und ein Signal­meister. Der Dienstbetrieb war militärisch, die politische Atmosphäre konservativ. Wir trugen Uniform, die ein Laie nicht von der Kriegsmarine unterscheiden konnteFOTO, und wenn wir durch Hamburg marschierten, wie z.B. bei der Besichtigung der Seewetterwarte, dann in militärischer Formation. Der Oberbootsmann, noch aus der kaiserlichen Marine, war ein Feldwebel, wie er im Buche steht: Nach außen rauh und bärbeißig, aber mit Verständnis für uns arme Würstchen. Meinen Namen verwechselte er immer mit em eines anderen Kameraden. Als ich ihm das wiederholt zu verstehen gab, guckt er mich halb überrascht, halb wütend an und brummt dann: „Verwechsel’ euch immer, seht beide egal dämlich aus!“ Als ich ein andermal einen Tag krank in der Hängematte lag, kam er zu meiner Überraschung in den Schlafsaal (er zeigte also auch Fürsorge!) und fragt nach meinem Befinden. Dann geht er eine Weile stumm und nachdenklich auf und ab, als ob er über die Ursache meiner Krankheit nachdenkt. Dann brummt er plötzlich: „Ihr freßt zuviel!“ und verschwindet. Der Signalmeister war das Gegenteil. Er war still und leise. Er polterte nie, wie der andere. Er schlug uns auch nie, wie der andere. Aber man wußte nie, woran man bei ihm war. Er war verschlossen und schien mir etwas hinterhältig. Aber ich will ihm nicht Unrecht tun, denn er muß im 1. Weltkrieg Furchtbares durchgemacht haben. Er war ein Nervenbündel. Das zeigte sich, als wir bei einer Übungsfahrt mit unserem Kutter auf der Elbe ruderten und dabei an einer Wasserleiche vorbeiglitten. Er befahl aufgeregt, nach der anderen Seite zu gucken. Man sah, daß er sich selbst nur mühsam beherrschte. Wahrscheinlich hat er im Krieg zu viele Wasserleichen gesehen.

In den ersten Tagen war ich entsetzt über den Ton und die Gesprächs­themen meiner neuen Kameraden. Ich kam als wohlerzogener Junge aus einer behüteten Familie und trat nun plötzlich in die rauhe Lebens­wirklichkeit. Die soziale Herkunft der Jungens war sehr unterschiedlich. Unter den 3o Jungen unseres Lehrgangs waren nur 2 Abiturienten. Mehrere waren verkrachte Gymnasiasten, aus der Mittelstufe abgegangen. Andere waren Volksschüler. Einer kam aus der schwarzen Reichswehr, blieb aber nicht lange bei uns. Im Grunde waren die meisten gar keine schlechten Kerle, auch wenn wir uns mal prügelten. Es waren sogar sehr gute Kameraden und auch brave Jungen darunter. Aber es war eine völlig andere Welt, in die ich nun eingetreten war. Und auch hier, wie überall, traten die Anständigen nur wenig hervor.

Wir schliefen mit 3o Mann in einem großen Schlafsaal in Hängematten.

Zu meinen täglichen Dienst­pflichten gehörte gleich nach dem Wecken und Waschen das Schneefegen vor unserem Gebäude. Es war mir lieber, als das staubauf­wirbelnde Fegen der Gänge und Treppen im Haus, aber es war auch bitterkalt und stockfinster draußen, denn es war 6.3o früh im Januar. Begleitmusik zu meiner Arbeit und Trost zugleich war das Rattern und knattern der Niethämmer auf der benachbarten Werft. Die Arbeiter dort mußten auch so früh aufstehen.

Sonntags vormittags fuhr ich immer mit der Elbfähre nach Hamburg zum Gottesdienst. Da der Lehrgang schon gegessen hatte, wenn ich zurückkam, wurde mir mein Mittagessen immer zurückgestellt. Einmal kam ich völlig durchgefroren zurück und setzte mich zum Essen an den Tisch. Da kippte ich um. Der plötzliche Wechsel von der Kälte draußen und der Wärme im Haus hatte mich umgeworfen. Für den Rest des Tages legte ich mich in meine Hängematte. Das war der Tag, an dem mich der Oberbootsmann besuchte.

Die Fähre besorgte den Personenverkehr zwischen Finkenwärder, Altona, Ham­burg-Lan­dungs­brücken und anderen kleinen Stationen am Elbufer. Unter den Finkenwärder Einwohnern, die in Hamburg arbeiteten, war auch ein Mädchen, das zahlreiche Freundschaften mit Seemännern und auch unseren Lehrgangs­teilnehmern unterhielt. Sie war immer von einem Schwarm von Lehrgangs­teilnehmern umlagert, wenn sie gleichzeitig mit ihnen auf der Fähre war. Das war immer in einem kleinen Passagierraum auf dem Oberdeck, den die zivilen Passagiere mieden, wenn eine größere Anzahl von uns da war. Dieses Mädchen war herzensgut und konnte offenbar niemand etwas abschlagen. Sie verschenkte sogar ihre Frühstücksbrote, die sie mit in den Dienst mitnehmen wollte, an unsere gefräßigen Jungs. Und wenn ihr von einem auslaufenden Schiff ein Matrose zuwinkte, den sie kannte, dann begann sie zu weinen.

Einmal wurde eine Gruppe von uns zu Aushilfs­arbeiten auf das Vollschiff „Pinnas“ geschickt, das gerade im Hafen lag.

Der Lehrgang zeigte natürlich auch alle üblen Symptome, die in solchen Gemeinschaften auftreten. Da wird den Mitgliedern des neuen Lehrgangs übel mitgespielt, wie den Rekruten in der Kaserne. Da gibt es Prügeleien betrunkener Urlauber. Da gibt es die ständigen gehässigen Sticheleien notorischer Stänker und andere Schweinereien in Wort und Tat. Aber es gab natürlich auch manche urkomische Situation, die herzhaftes Lachen auslöste.

Lehrgangsende! Wir haben unsere ZeugnisseDOKUMENT erhalten. Morgen früh geht es nach Hause! Noch in der Nacht trennen wir die schwarzen Knöpfe von unseren Pyjacken (Anm. des Herausgebers: Heißt eigentlich Pea-Jacke (engl.: pea coat), auch Caban) ab und nähen heimlich goldene Knöpfe an, wie sie die Reichsmarine hatte.FOTO Beim letzten Morgenappell versteckten wir die Jacken, aber auf der Fähre zogen wir sie wieder an und stolzierten durch das Schiff.

Die meisten von uns hatten sich entschieden, den nächsten Ausbildungs­abschnitt, die Segelschiff-Fahrzeit, zu beginnen. Das brauchte nicht unbedingt ein Schulschiff zu sein, aber wessen Eltern in der Lage waren, die 500,- Mark Ausbildungs­kosten für eine Reise mit einem der großen Segel­schul­schiffe zu bezahlen, der tat dies. Die Hamburger Reederei Laeiß stellte einige ihrer Großsegler zur Verfügung. Sie fuhren Fracht und bildeten gleichzeitig den Offiziers­nachwuchs der Handelsmarine aus. Es waren also Fracht­schul­schiffe, gewaltige Vier- und Fünfmaster, die, da ihre Namen alle mit „P“ begannen, unter dem Schlagwort „Flying P-Liner“ weit über Seefahrer­kreise hinaus bekannt wurden.

Wir fuhren nun also in Urlaub und mußten warten, bis wieder eines der Segelschiffe in Hamburg einlief. Dann wurden wir von der Reederei benachrichtigt und aufgefordert, uns anheuern zu lassen.

Unheimlich lange dauern die letzten Wochen des 2-monatigen Urlaubs. Tag für Tag steigert sich die Ungeduld. Endlich naht der Tag der langersehnten Abreise. An diesem Tag steht alles Kopf. Seesack und Koffer stehen fertig gepackt. Das Auto fährt vor, Gepäck wird verstaut, einsteigen, Abfahrt Richtung Lehrter Bahnhof. Onkel Ernst und Tante Else sind auch auf dem Bahnsteig. Meine Tante kann es sich nicht verkneifen, überlaut, fast schreiend (damit es auch alle Umstehenden hörten!) meinem neben ihr stehenden Onkel zuzurufen: „Denk’ dir, er fährt nach Amerika!“ Und sie hörten es alle! Natürlich war ich stolz wie ein Pfau. Dann naht der große Augenblick der Abfahrt. „Alles einsteigen! Türen schließen!“ ein Pfiff, „Zurücktreten!“ Ab geht’s. Ich war so erfüllt von Erlebnisdrang, daß ich keine Sekunde an den Kummer meiner lieben Mutter dachte. Arme, gute Mutter! Mich beherrschte nur ein Gedanke: Jetzt geht es hinaus auf die See! nach Amerika!

Hamburg begrüße ich mit den freudigsten Gefühlen. Hamburg! Es sollte meine zweite heimat werden. Der Heimathafen, den man nach langer Seereise freudig begrüßt. Auf dem Bahnsteig treffe ich schon den ersten Kameraden aus der Seemannsschule. Wir begrüßen uns stramm militärisch, freudestrahlend. Wir fahren dann nach Finkenwärder, um in der Seemannsschule zu übernachten. Hier waren schon weitere „Paduagäste“ eingetroffen, die uns mit Hallo begrüßten. Es herrschte eine überschwengliche Stimmung, und der gemeinsame Gedanke an die „Padua“ hatte uns unausge­sprochen enger zusammen­geschlossen.

Der Signalmeister wies uns ein Zimmer an, in dem wir eine ungemütlich kalte Nacht erbrachten. Wir hatten zwar eine Koje, aber kaum etwas zum Zudecken. Die Schule war auf unser Kommen gar nicht eingerichtet, und wir waren auch überhaupt nicht erwünscht. Aber das haben wir in unserer jugendlichen Unbekümmertheit gar nicht bemerkt. Bis tief in die Nacht hinein erzählten wir von unseren Urlaubs­erlebnissen, bis wir infolge einer Art von Erstarrung wegen der Kälte in einen kurzen Schlaf fielen. Trotzdem waren wir am Morgen wieder munter.

Am Nachmittag kam dann der entscheidende Augenblick: Anmusterung! Wir wanderten von Pontius zu Pilatus, zwei Stunden lang von einem Büro zum anderen. Um 13.3o Uhr war endlich alles erledigt. Wir schulterten unsere Seesäcke und schleppten sie zu einer Anlegestelle am Baumwall, wo eine Barkasse auf uns wartete. Sie brachte uns zum Segelschiffhafen.

Wir näherten uns dem verwirklichten Bild unserer Träume. Da lag die stolze „Padua“FOTO mit ihren himmelan­strebenden Masten, riesigen Masten, die uns fast zu drohen schienen mit ihrer kahlen, ragenden Größe und der angsteinflößenden Menge an Tauwerk. Ich fühlte richtigen Respekt vor diesem majestätischen Schiff, das seine Masten so stolz in den Himmel reckte. Ich war begeistert, auf diesem Schiff fahren zu dürfen als echter, rechter Seemann.

Wir klettern an Deck und treten an. Der 1. Offizier empfängt uns. Sein Äußeres flößt Achtung ein. Seine harten, stahlblauen Augen mustern uns kritisch. Dann erschien der KapitänFOTO. Er gibt uns gleich Verhaltensmaßregeln. Sein erstes Wort war „Arbeit“, sein letztes war „arbeiten“. Dann verschwindet er wieder. In mir begann es zu dämmern.

Wir sollten noch 5 Tage im Hafen liegen. Mit der angedrohten Arbeit war es nicht so schlimm, und ich fand, das Leben ist schön. Einmal war ich noch an Land gegangen. Abends aber stand ich an der Reling und schaute träumerisch über den Hafen, blickte auf die Dampfer mit ihren Reihen erleuchteter Kabinen, deren Licht sich glitzernd auf dem dunklen Wasser spiegelt. Ich sehe Hamburg im Schein seines Lichtermeeres. Drüben am Quai, an den letzten Häusern, steht einsam eine Laterne an der stillen Straßenecke und erhellt die Hauswand mit ihrem fahlen Licht. Ich starre immer wieder dort hinüber, denn dieses Bild weckt Erinnerungen an meine Kinderzeit.

Heute ist Sonntagnachmittag. Die meisten Kameraden sind an Land gegangen. Ich klettere aus reinem Vergnügen in der Takelage herum. (Ich glaube, das ist gar nicht erlaubt). Unten am Quai gehen einige Spaziergänger. Sie sehen winzig klein aus von hier oben. Ich bemerke eine Familie, Eltern mit Tochter, die mit dem Kopf im Nacken zu mir heraufblicken und meiner Kletterei zuschauen. Da packt mich der Übermut. Ich klettere bis zur Royalrah, rutsche seitwärts bis zur Nock und stelle mich dort aufrecht auf die Rah, mich nur an der Nant festhaltend. Ich blicke nach unten und sehe, wie das Mädchen in jähem Erschrecken ihre Hände vor den Mund preßt. In tiefbe­friedigtem Stolz entere ich wieder an Deck. (s. Skizze)

Und dann war es soweit. Die Reise begann.

Angemustert als Junge am Freitag, den 10.6.1927 in Hamburg. Am selben Tag an Bord.

Fünf Tage später (Mittwoch nachmittag 5 Uhr) gehen wir in See.

Wir fuhren unter dauernden Hurra-Rufen die Elbe abwärts und gingen bei Bruns­hausen abends vor Anker. In Bruns­büttel­koog übernehmen wir Benzin-Fässer als Decks­ladung. Anschließend folgte das Deckaufklaren. Das Tauwerk wurde ordentlich aufgeschossen, das Gerät, das der Ladungsübernahme diente, wurde beiseite geschafft, der Dreck beseitigt, alles Überflüssige verstaut. Das Deck mußte klar und sauber sein.

Mitternacht war schon vorüber. Inzwischen hatte der Seetörn für die Wachen begonnen. Die Besatzung war in 2 Wachen eingeteilt: Steuerbord- und Backbordwache, die im 4-Stundenwechsel Wache gingen, also 4 Stunden Wache, 4 Stunden Ruhe. (Das Einnehmen der Mahlzeiten, Wäschewaschen und alle sonstigen privaten Tätigkeiten fielen natürlich in die Ruhezeit). Ich gehöre zur Backbordwache. Wachhabender ist der 2. Offizier Gippe. Die Steuerbordwache untersteht dem 1. Offizier. Da dieser es zu sagen hatte, schickte er nun seine Wache in die Kojen, während wir, hundemüde wie wir waren, noch bis 4 Uhr früh an Deck bleiben mußten. Wir waren stinkwütend.

Der nächste Tag war herrlich. Für den Romantiker und für ein empfindsames Gemüt, das für alle Schönheit empfänglich ist, muß es ein wundervoller Anblick gewesen sein: Unser Schiff pflügte bei schönstem Sonnenschein durch die Nordsee. Wir hatten alle Segel gesetzt, die, von einer leichten Brise aufgebläht, wie weiße Wolken an den turmhohen Masten in den blauen Himmel ragten.FOTO

Ich stand zum ersten Mal am Ruder, zusammen mit einem Matrosen, als als wir Helgoland passierten. Wir begegneten mehreren Kriegsschiffen und grüßten uns gegenseitig. Entgegen meinen Befürchtungen sind die Matrosen – soweit ich es bisher beurteilen kann – größtenteils tadellose Kerle.

Dennoch regen sich 2 Stimmen in mir. Die erste meldet sich in schönen Augenblicken, wunderbar farbenprächtigen Anblicken der See oder freundlichen Erlebnissen. Dann denke ich: „Hier ist es richtig. Schöner kann es nirgends sein. Hier bleibst du.“ Ein paar Minuten später gibt es schwere Arbeit, die zuweilen gar keine seemännische ist und nur dazu dient, uns zu beschäftigen. Dann sage ich mir: „Wozu bist du eigentlich hier? Zu Hause kannst Du es viel besser und bequemer haben. Warum machst du dir hier das Leben so schwer?“ Heimweh ist das Letztere nicht. Das kenne ich bisher noch nicht. Aber dauernd kämpfen diese beiden Gedanken in meinem Gehirn. Ich will ehrlich sein: Direkt überschwenglich froh bin ich bisher noch nicht gewesen, wenigstens nicht längere Zeit hindurch.

Noch einiges über das Schiff und die Besatzung.

Gesamtlänge des Schiffes: 114,5o m. Länge zwischen den Loten: 95 m
Größte Breite: 14 m.
Viermastbark: 3 vollgetakelte Rahmasten, 1 Besanmast. Höhe der Masten: 48 m.
Segelfläche: 3400 qm, mit Stagsegeln 3800 qm
Vermessung: 3148 ts ; Gesamttragfähigkeit 4698 ts ; Wasserverdrängung 6655 ts (beladen)

Gesamtstärke der Besatzung: 70 Mann
1 Kapitän und 4 Offiziere , je 1 Bootsmann, Segelmacher, Zimmermann, Schlos­ser, Koch, Bäcker, Steward, 18 Jungmänner und 22 Jungen.

Ladung: Stückgut (Eisenstangen, Zement, Koks, Hausrat und Sanitäreinrichtungen wie Badewannen, Klosetts, Tafelgeschirr). Als Decksladung: Benzolfässer.

Vieh: 3 Schweine; Hühner und Tauben (Nur für die Unteroffiziere), 1 Hund

Ich will auf die bisher vorgefallenen unangenehmen - allerdings unbedeutenden Ereignisse ebensowenig eingehen, wie auf die schönen Szenen und Augenblicke und wundervollen Erlebnisse, die sich mir bisher geboten haben.

(geschrieben am Donnerstag, 16.6.1927)

Der Wind kommt uns aus dem Kanal direkt entgegen. Wir müssen aufkreuzen, d.h. dauernd wenden und kommen nur langsam vorwärts. In der Nacht von Sonn­abend zu Sonntag hatten wir Regen und so starken Wind, daß wir mit Sturm­segeln fahren mußten. Dies war die erste Nacht, in der ich eine kleine Ahnung von einem Sturm bekam. Der Klang des durch die Nacht heulenden Nebelhorns war zwar etwas unheimlich, aber es war doch spannend und irgendwie schön.

Dennoch verstärkt sich die Meinung in mir, daß die Seefahrt nichts für mich ist. Ich will als Mensch ein normales Leben führen, d.h. ich will nachts schlafen und am Tage wach sein. Ich will immer ordentlich gewaschen sein und nicht schmutzig wie ein Neger herumlaufen. Die geleistete Arbeit soll auch ein wenig persönlichen Nutzen haben. Zwar sind Lehrjahre keine Herren­jahre, aber soll ich mir jetzt die Knochen abrackern, damit ich später ganze 200,- Mark bekomme?

geschrieben am Sonntag, 19.6.27

Montag, d. 20.6. Dover passiert.

Dienstag, d. 21.6. Dungeness passiert.

Bei Dunkelheit passieren wir das Seebad Brighton. Die Lichter seiner Ufer­promenade glitzern wie eine Perlenkette zu uns herüber.

Bisher habe ich schon zweimal die Royal festgemacht. Das 1. Mal war es zu­sammen mit einem Leichtmatrosen.

Wir liegen vor der Isle of Wight vor Anker, weil wir einen Kranken an Land setzen mußten. Die Insel ist ein schönes Fleckchen Erde. Das Gelände ist hügelig, bewaldet, mit vereinzelten Feldern. In jeder Talsenkung liegt ein Städtchen oder Dörfchen. Die Küste ist steil abfallend.

Mittwoch, 22.6.27

Drei Tage liegen wir hier vor Anker (Mittwoch, Donnerstag, Freitag) Der Kranke hatte Heimweh. Schon kurz nach dem Auslaufen begann er zu weinen und hörte nicht mehr auf. Er heulte und wimmerte tag und nacht und war schon so erschöpft, daß er ins Krankenlogis gelegt wurde. Dieser Raum lag neben unse­rem Logis, so daß wir sein Gejammer mit angehört haben. Nach 3 Tagen war sein Zustand so ernst, daß wir ihn absetzen mußten. Von 2 Mann gestützt, wankte er über das Deck, um in das englische Rettungsboot geschafft zu werden, das ihn zur Küste brachte. Inzwischen war der Vater des Jungen (und?) der Reederei­inspektor Petersen mit Flugzeug von Hamburg gekommen, um seinen Sohn zurück­zuholen. Auf dem Rückweg nahm er die ganze schnell von uns geschriebene Post mit, von denen die meiste, auch meine, unfrankiert war.

Freitag nachmittag lichten wir die Anker und setzen die Reise fort.

Sonnabend (25.6.)

Der Wind frischt auf. Steifer Wind und kabbelige See. Wir machen gute Fahrt. Sind jetzt ungefähr in der Biskays. - Gestern sah ich Schweins­fische (Del­phine), die neben dem Schiff herschwammen. Etwa gut 1 m lang. - Das Essen ist meist miserabel. - Wir gehen jetzt schon Ruder und Ausguck und müssen alle Segel mit festmachen. Zuweilen machen wir die Segel auch schon allein los und fest. Auch leichtere arbeiten in der Takelage machen wir schon allein.

Der Sonntag unterscheidet sich nicht im geringsten vom Wochentag.

Wir bekommen außer den Mahlzeiten jeder pro Tag 1/4 Brot. Ferner pro Woche ein Stück Käse und 1 Stück Corned Beef bzw Wurst. Margarine kann jeder essen, soviel er will. Eine 10 L-Blechdose steht im Logis immer bereit.

(geschrieben (Dienstag) 28.6.27)

Am Donnerstag hatten wir eine kleine Havarie, die für mich sehr gefährlich werden konnte. Ich stand Ausguck. Es wehte eine steife Brise. Wir hatten alle 4 Klüversegel gesetzt. Da brach mit einem Krach die Nagelbank weg, an der die Schoten belegt sind. Die eisernen Stützen der Nagelbank waren glatt weggebrochen, die ganze Bank weggerissen. Die Klüverschoten schlugen knatternd in der Luft hin und her. Wären sie gerissen, hätten sie mir den Schädel einschlagen können.

Als es diesig wurde, mußte ich das Nebelhorn bedienen. Dabei drehte ich so stark an der Kurbel, daß sie abbrach. Danach mußte das Nebelsignal mit einer Hupe gegeben werden.

Donnerstag, d. 30. und Freitag, d. 1.7.27 Spanien passiert. Wetter günstig.

Laufen durchschnittlich 8 sm .

(geschr. am Sonnabend, d. 2.7.27)

Am Sonnabend den 2.7. die Insel Madeira passiert. Ich stand gerade Ausguck. Für den ungeübten Anfänger ist schwer zu erkennen, ob das am Horizont aufkommende Gebilde eine Wolkenbank oder Land ist. Deshalb war die Insel schon hoch über der Kimm, ehe ich sie ausrief. Der Wachoffizier Gippe, der natürlich längst wußte, wann die Insel auftauchen mußte, und der außerdem ein Fernglas hatte, antwortet mir mit: „Na endlich!“ Nach meinem Aussingen strömt die ganze Besatzung an Deck, um die Insel zu sehen.ZEICHNUNG

Es wird jetzt schon reichlich warm. Wir haben außer Turnschuhen nur noch Hemd und Hose an.

(geschr. am Sonntag,d. 3.7.)

Am Montag, d. 4.7. die Inseln Palma und Teneriffa passiertZEICHNUNG. Wir erreichen jetzt den Passat. Nachts darf auch die Wache an Deck schlafen. Da der Passat fast immer in gleicher Stärke und aus der gleichen Richtung weht, sind Segelmanöver kaum erforderlich. Wir Jungens kommen natürlich nicht in den vollen Genuß dieser Erleichterung. Wir müsen den Ausguck vorn auf der Back, den Rudergänger und den Flötentörn stellen. (Der Flötentörn ist der Wachmann, der die anderen wecken muß, falls was los ist.)

Einmal beschien der Vollmond die Schlafenden an Deck. Als sie aufstanden, waren ihre Backen, die der Mond beschienen hatte, geschwollen.

Es ist jetzt schon mächtig warm. Sogar der 1. Offizier läuft in Badehosen herum.

Am Sonntag abend bin ich zum ersten Mal allein Ruder gegangen. Ich habe diesen gewaltigen Viermaster ganz allein gesteuert!

(10.7.27)

Montag, d. 11.7. die Kapverdischen Inseln passiert. Haben sie allerdings kaum gesehen, nur die letzte an Steuerbord.- Am selben Tag fingen wir einen Schweinsfisch von etwa 2,5 m Länge. Eine ganze Herde von ihnen schoß spielerisch und elegant vor unserem Bug her, bis der 3. Offz., der im Netz unter dem Klüverbaum auf der Lauer lag, einen von ihnen harpunierte. Er wurde ausgeweidet und gab eine willkommene Frischfleischmahlzeit.

Auch fliegende Fische sehen wir jetzt häufiger. In glitzernden Schwärmen fliegen sie etwa 50m weit dicht über dem Wasser, um dann wieder einzu­tauchen. Bei solchen Flügen geraten sie dann manchmal auf unser Deck, wo wir sie dann morgens finden. Sie haben etwa die Größe eines mittleren Herings. Ihre Brustflossen sind sehr groß und dienen auch als Flügel. Einen solchen Flügel habe ich als Andenken mit nach Hause gebracht.FOTO

Den eigentlichen Passat (NO-Passat) haben wir hinter uns. Es herrscht eine Bullenhitze. Wir sind in der Äquatorialzone.

(geschr. Mittwoch, d. 13.7.)

Wir sind jetzt im Malpassat oder den Mallungen. (exakt geographisch ist es die Kalmenzone). Meist Windstille. Das Meer glänzt in Farbe und träger Bewegung wie flüssiges Blei. Ab und zu ein kaum merklicher Luftzug, ein hauch. Sofort wird gebraßt oder geluvt, um auch den kleinsten Luftzug auszunutzen. Aber die Strömung ist stärker, als der Wind. Das Schiff treibt hilflos. Da es keine Fahrt macht, kann es auch nicht gesteuert werden. Die Logge, sonst von dem fahrenden Schiff kräftig hinterhergezogen, hängt schlaff an der Logleine ins Wasser. Ab und zu mal ein tropischer Regenguß. Kapitän und Offiziere, deren Ehrgeiz schnelle Reisen verlangt, sind reine Nervenbündel, mürrisch und reizbar. Die Hitze ist ungeheuer. Man schwitzt, daß einem der Schweiß buchstäblich tropfenweise vom Gesicht rinnt. Wir laufen meist mit freiem Oberkörper, nur in Arbeitshosen herum.

Vor einigen Tagen habe ich zum 1. Mal vom 2. Offz. Gippe zwei Backpfeifen bekommen. Eine rechts, eine links, weil ich einen Farbtopf umgekippt habe. Hat aber nicht weh getan. - Sonnabend wieder Flaute.

Ich war „Bursche“ beim 4. Offizier, aber jetzt hat er mich rausgeschmissen. Als ich ihm kürzlich seine Leibwäsche waschen sollte, hatte ich, sparsam wie ich bin, zu wenig Seife genommen. Außerdem bin ich nicht sehr erfahren im Wäschewaschen, so daß die Wäsche mit hellen und dunklen Flächen eher wie eine Mondlandschaft aussah, als sie auf der Leine hing. Der Vierte war wü­tend und feuerte mich. Außerdem begann er von da ab, mich zu schikanieren. Er benutzte jede Gelegenheit, mir zusätzliche Arbeit aufzubrummen. Dazu eignete sich besonders die Zeit von 6-8 Uhr abands. Das war eine Art Ausgleichszeit, in der die Wache noch einmal wegtreten und ins Logis gehen konnte. Dann holte mich der Vierte jedesmal heran und trug mir irgend­eine lächerliche Arbeit in der Takelage auf. Als es mir schließlich zu dumm wurde, blieb ich eines Tages oben und versteckte mich. Bei 50m hohen Masten und dem Gewirr von Takelwerk ist das nicht schwer. Der Vierte kam mehrmals aus dem kartenhaus und blickte suchend nach oben. Er wurde unruhig, als er mich nicht fand. Ich blieb volle 2 Stunden oben, und als er dann mal einen Augenblick verschwand, enterte ich wie eine Katze an Deck und mischte mich unter die Kameraden. Von da an ließ er mich in Ruhe.

(geschr. Sonntag, d. 17.7.)

Rostkratzen muß sein, und jetzt bei schönem Wetter an Deck ist es auch gar nicht schlimm. Scheußlich wird es aber, wenn man in die Bilge muß, noch dazu im Vordersteven, wo es so eng und schmal wird, daß man sich kriechend zwischen den engen Schottwänden fortbewegen muß. Der Rost dort unten blättert in nassen Fladen ab und verdreckt Körper und Wäsche. Da es außerdem noch stockfinster ist, muß man eine blakende Petroleumlampe mitnehmen, die einem das Gesicht verrußt. Ich habe eine Wache dort unten gearbeitet. Das langt. Aber ich hatte einen Trost: Unser Zweiter kann den Vierten auch nicht leiden und hat ihn auch einmal da hinunter geschickt, zum „Kontrollieren“. Der Anblick hat mir richtig wohlgetan, als ich den Vierten völlig verrußt und verdreckt wie ein Schwein wieder hochkommen sah. Seine Wäsche brauchte ich ja auch nicht mehr zu waschen.

Das Schiff ist so groß, daß es auch Arbeitsscheuen Gelegenheit gibt, sich zu drücken. Man kann sich im Klo verstecken. Oder man nimmt ein Werkzeug in die Hand und rennt damit eifrig längs Deck von der Back bis zur Poob. Dort versteckt man sich eine Weile und rennt dann wieder zurück. Das kann man wiederholen.

(19.7.)

Wir kommen jetzt nur langsam vorwärts, da wir dauernd hart am Wind fahren müssen. Hier ist mir ein Malheur passiert. Es ist Nacht, und ich bin allein am Ruder. Den Kurs, den wir eigentlich steuern wollen, kann ich nicht halten, weil der Wind genau aus der Richtung kommt, wo wir hin wollen. Also kann ich nicht nach dem Kompass steuern, sondern nur nach dem Wind. Ich stehe also am Ruder, den Kopf im Nacken, um den Flögel zu beobachten. Zeichnung S. 19 oben: Windrichtung - Kurs - bestmögliche Fahrtrichtung (Ein Windsack, wie auf den Flugplätzen), der oben am Großtopp wehte. Ich gehe so hart an den Wind, daß er gerade noch schräg von vorn in die Segel bläst. Plötzlich fängt die Royal zu flattern an und back zu schlagen. Das bedeutet, daß sich das Schiff etwas zum Wind hin gedreht hat. Ich falle sofort ab, aber es war zu spät. Der Wind drückt jetzt schräg von vorn gegen die Segel und drückt das Schiff herum. Der Wachoffizier hat das natürlich sofort gemerkt, kommt aus dem Kartenhaus, sieht die Bescherung und fängt an zu brüllen. Das Schiff muß halsen, d.h. in einem großen Bogen nach rückwärts wieder auf den alten Kurs gebracht werden. Ein zeitraubendes Manöver und unnötige Arbeit für die Wache. Ich kriege von Gippe rechts und links ein Paar hinter die Ohren und werde abgelöst.

Sind noch etwa 5 Breitengrade vom Äquator entfernt. Am Dienstag habe ich zum 1. Mal das Kreuz des Südens gesehen. Das Kreuz wird von 4 Sternen gebildet und hat etwa diese Form: Zeichnung von S. 19 unten: Kreuz des Südens. Es ist ein wundervolles Sternbild. Der südliche Nachthimmel ist überhaupt viel eindrucksvoller, als der nördliche. Er ist tief schwarzblau und übersät von unendlich vielen Sternen, die in der reinen, klaren Luft viel heller strahlen, als im Norden.

Gestern ereignete sich wieder etwas, das am besten geeignet ist, mich von der Seefahrt abzubringen: Der 1. Offz. machte die Runde im Schiff um nachzusehen, ob alles sauber ist. In der Messe lag aber in einer Ecke etwas Schmutz. Der Erste ließ die Backschafter rufen und schlug auf sie in einer Weise ein, die nicht mehr menschlich ist. Abends kam er wieder den Gang entlanggeschlichen. In der einen Hand die Taschenlampe, in der anderen ein Tauende. Seine ohnehin nicht sehr freundlichen Gesichtszüge schienen in diesem Aufzug nicht freundlicher. Er sah aus wie ein Tiger. Die Messe war natürlich wieder nicht sauber, und die Prozedur vom Mittag wiederholte sich in ebenso unmenschlicher Weise. Ich weiß nicht, ob Tropenhitze und nervöse Flautenmentalität(Zusatz in Bleistift) Ärger über die Flaute eine Entschuldigung für solch Verhalten sind.

Noch eine zweite Beobachtung hat mich von diesem Beruf abgeschreckt: Der 2. und 4. Offz. können sich nicht leiden, müssen aber notgedrungen dieselbe Wache gehen. Und wenn beide in der Nachtwache auf dem Hochdeck sind, dann geht der eine an Steuerbord und der andere auf der Backbordseite hin und her. Was ist das für ein Leben! An Land kann man sich wenigstens nach dem Dienst aus dem Wege gehen.

Aber es gibt nicht nur schlechte Erlebnisse. Die Natur überrascht und entschädigt immer wieder mit unvergeßlichen Eindrücken. Alle 24 Stunden erlebe ich abwechselnd einen Sonnenaufgang und einen Sonnenuntergang, und jedesmal ist er anders und unvergleichlich schön. Die See, der Himmel und die Wolken verändern ständig ihre Farbe und ihre Formen, und oft ist es überwältigend schön. Selbst bei Sturm und Orkan verliert diese Natur nichts von ihrer ergreifenden(Zusatz in Bleistift) packenden Schönheit. Daß sie lebensgefährlich sein kann, ist eine andere Sache. Aber ier und jetzt, im Passat und in den Tropen, ist sogar die Arbeit manchmal ein reines Vergnügen. Wenn ich in der Takelage arbeite, himmelhoch über den winzigen Menschen an Deck, umweht von einer warmen und doch erfrischenden Brise, dann bin ich oft wirklich glücklich.

(geschr. am Donnerstag, 21.7.)

Vor einigen Tagen hatten wir den etwas nördlich vom Äquator beginnenden SO-Passat erreicht. Am Sonnabend den 23.7.27 den Äquator passiert. Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt, als er diesmal war. Es war verhältnismäßig kühl, der Himmel größtenteils bedeckt, die See ziemlich bewegt. Wir liefen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 7 sm über den Äquator. Wir laufen heute, südlich vom Äquator, 12 sm durchschnittlich.

(Nachtrag) Die Vorstellung, daß am Äquator die Sonne heiß von einem wolkenlosen Himmel brennt, ist laienhaft und falsch. Es ist zwar heiß, aber deshalb ist auch die Verdunstung sehr stark, so daß die Sonne nur durch milchigen Dunst scheint. Meist ist der Himmel stark bewölkt.

Die Taufe habe ich glücklich überstanden. Sie ist weiter nichts als eine Schweinerei. Schon am Abend vorher kam „Triton“ an Bord. Wir wurden von „Negern“ aus den Kojen gejagt. Draußen packten sie uns und stießen uns hin und her, wobei sie uns mit Kettenschmiere vollkommen anschwärzten und dann gründlich mit Wasser begossen. In die Kojen konnten wir in diesem Zustand nicht mehr gehen. Am nächsten Tag begann die Taufe mit einem Umzug der Garde Neptuns. Wüste Gesellen. Dann Ansprache Neptuns. Nach der Ansprache wurden wir erst wieder einmal gründlich beschmiert und dann einzeln zur Taufe geführt. Die Täuflinge - das waren alles Jungen - waren im Vorschiff unter der Back versammelt, während die Taufe auf dem Achterdeck stattfand. Sobald der Täufling aufgerufen wurde, mußte er also von vorn nach achtern laufen. Auf diesem Weg aber hatte sich die übrige Besatzung aufgestellt, mit Tampen in der Hand, und ließ den armen Teufel regelrecht Spießruten laufen. Achtern angelangt, erfolgte 

die Impfung mit Rostkratzern, bis man blutete.

Niederknien vor dem Pastor und Verkündigung des Taufnamens.

Schlachtbank. Man saß auf einem Brett und mußte zunächst eine schauderhaft schmeckende, kirschgroße Pille schlucken, die aus den widerlichsten Bestandteilen zusammengesetzt war. Sie wurde mit verdünntem Petroleumwasser hinuntergespült. Dann erschien der „Friseur“ und kämmte uns mit einem riesigen Kamm (Ein Brett, dessen eine Seite zu Zähnen ausgesägt war). Einigen Täuflingen wurden auch die Haare zu abenteuerlichen Frisuren geschnitten. Das Kämmen mit dem Brett hinterließ leichte Kopfschmerzen. Danach wurde man nochmals gründlich mit Holzteer beschmiert, oder auch mit Tran, und dann erfolgte die eigentliche Taufe, indem man rückwärts in ein großes Wasserbecken geworfen wurde. Hier standen schon 2 Neger bereit, die den Täufling packten und unzählige Male untertauchten, bis er nur noch japste. Dann warfen sie ihn aus dem Becken. Die Taufe ist beendet.

Die Taufe hatte aber auch eine gute Seite, wenn sie auch bescheiden war: Jeder Täufling bekam, nachdem er seinen TaufscheinFOTO erhalten hatte, eine halbe Tasse Punsch und 1 Flasche Bier. Es gab sogar auch etwas hintergründigen Witz: Der I.O. erhielt bei der Geschenkverteilung eine Peitsche „Zur Erziehung junger Hunde“. Eine Anspielung auf den Wutanfall der vorletzten Woche. Der II. erhielt eine Trilerpfeife von der Größe eines kleinen Bierfasses. Er pfeift oft Signale zu Segelmanövern, denn er segelt sehr vorsichtig und nimmt ein Segel lieber zu früh als zu spät weg. Der III. bekam ein kleines Kopfkissen. Er schläft gern.

Wir haben einen Passagier an Bord, ein Lehrer an der Seefahrtschule Hmburg. Der stand während unserer Taufe in weißem Tropenanzug bei den Offizieren auf der Poob und schaute amüsiert den Taufzeremonien zu. Da schlich sich ein Neger von hinten an ihn heran und goß ihm eine Pütz Wasser über den Kopf. Das entschädigte uns etwas für unsere Qualen. So ein kleines Mißgeschick ist doch immer amüsant - wenn es andere trifft.

Ich muß noch hinzufügen, daß wir uns nach der Taufe volle 3 Stunden gewaschen und geschrubbt haben, um den Teer, tran und anderen Dreck aus Haaren, Ohren und Augen zu bekommen. Reste davon blieben noch tagelang.

(geschr. am Sonntag, d. 24.7.)

Wir kommen gut vorwärts. Sind jetzt ungefähr 17 Grad Süd. Laufen in diesen Tagen etwa 8 sm durchschnittlich. Der SO-Passat weht bedeutend stärker als der NO-Passat. Wir fahren zeitweilig mit 12 sm und 20 Grad Schlagseite, und das Schiff stampft und schlingert erheblich. Trotzdem lassen wir uns im Schlaf nicht stören, auch wenn wir selbst ebenfalls mit den Bewegungen des Schiffes hin und herrollen. Man kann das etwas abbremsen, indem man die Knie anzieht und die Knie gegen die eine und den verlängerten Rücken gegen die andere Kojenwand stemmt.

Kleine Überraschungen bietet dieses Wetter, wenn man auf dem Klo sitzt. Das Klo hat ja einen offenen Abfluß nach außen zur Bordwand. Sobald nun eine Woge gegen die Bordwand schlägt, preßt sie das Wasser in das Abflußrohr und sprudelt im Klobecken nach oben. Der Anfänger fährt dann erschreckt hoch. Er braucht dann kein Papier, sondern ein Handtuch.

Regenböen sind ziemlich häufig.

An das Essen gewöhnt man sich allmählich. Das Brot, von unserem eigenen Bäcker gebacken, ist lebendig. Wenn man eine Scheibe abgeschnitten hat, klopft man sie erst auf den Tisch. Da fallen dann winzige schwarze Käfer heraus und fliegen fort. Dan kann man die Schnitte verzehren, nachdem man erst noch einen Eßlöffel flüssiger Margarine darüber gegossen hat. Die Margarine steht in einer großen 10 Liter-Blechdose im Logis, für alle jederzeit zur Verfügung. Die tropenhitze hat das Fett geschmolzen.

Die Käseration ist in den Tropen ungenießbar, weil sie von Maden nur so wimmelt. Wir werfen sie nach dem Empfang sofort über Bord.

Jetzt, in der heißen Zone, bekommen wir zweimal wöchentlich Milchsuppe und Aprikosensuppe. Die sind sehr schmackhaft, obgleich auch hier viele Maden drin schwimmen. Aber daran gewöhnt man sich. Sonst taugt das Eseen nichts. Auch ist es zuweilen verdammt wenig. Auch die Hygiene beim Essen läßt zu wünschen übrig. Rostige Messer und Gabeln, schmutzige Tassen und Teller. Besonders widerlich ist die dauernde Balgerei um das Essen.

(geschr. am 28.7.27)

Wir haben die südl. Roßbreiten erreicht. Seit Sonntag, also seit 2 Tagen, haben wir Flaute. Machen sehr wenig Fahrt, vielleicht 1 sm. Der schwache Wind, der überhaupt vorhanden ist, kommt dauernd aus einer anderen Richtung.

Heute bekam ich von einem Matrosen eine ins genick gehauen. Das ist mir persönlich ziemlich wurscht. Ich will nur festgestellt haben, daß es Matrosen gibt, die weiter nichts können, als uns verhauen. Die „Hackordnung“ wird hier an Bord immer mit Gewalt aufrecht erhalten. Matrosen, die keinerlei Persönlichkeitswerte besitzen, die Respekt hervorrufen, verschaffen sich den ersehnten Respekt mit der Faust. Das Seemannsvolk ist eine harte Männergesellschaft. Zimperlichkeit ist nicht gefragt. Das schadet auch nichts, aber m.E. sollten sich der Kapitän und die Offiziere mehr um die Erziehung der Jungen kümmern. Wir werden fast ausschließlich von den Matrosen und Leichtmatrosen der Stammbesatzung „erzogen“, und einige dieser Leute sind geistig Primitive, die glauben, den respekt vor ihrem höheren Dienstgrad mit Prügel erreichen zu müssen. Es aber auch sehr vernünftige Matrosen, und zu diesen gehört unser Toppmatrose Paul. Er ist ein ruhiger und sehr verständiger Mann.

Den Kapitän habe ich, seit wir in See sind, eigentlich nie mehr gesehen, und diew Offiziere haben vor den altgedienten matrosen sichtlich respekt. Vor einiger zeit beaufsichtigte unser II.O. (Gippe) Arbeiten in der Takelage, die ihm zu langsam vorangingen. Er brüllte durch das Megaphon nach oben: „Nu feck doch to da boben!“. Worauf der Obermatrose Burmester von oben zurückbrüllte: „Sabbel nicht soviel!“. Der Zweite sagte kein Wort!

Der 4. Offizier (Schilling) hat in Bezug auf Manöver und Schiffsangelegenheiten keine Ahnung. Er kann und weiß überhaupt nichts. Macht den größten Blödsinn und bekommt einen tadel nach dem anderen, teils vom Kapitän (im Sturm ist er an Deck), teils vom Zweiten. Das einzige, was er kann, ist klugschnacken und über die angebliche Dummheit anderer zu schimpfen. Er scheint selbst nicht zu wissen, wie dämlich er ist. Ein richtiger Bauerntölpel, von hause fortgejagt. Verhältnismäßig klein, O-beinig, mit dickem, runden Schädel. Das plattgedrückte Vollmondgesicht mit vorstehender Stirn und den Augenwulsten läßt ihn als Gorilla, oder, wenn man ihn noch als Menschen bezeichnen wil, als Halbidioten erscheinen, was wohl auch das Wahrscheinlichste ist.

Heute haben wir den ersten Hai gefangen. Er hatte nur eine Länge von etwa 1,50 m. Sandhai nennt er sich. Ich wollte mir aus seinem Gebiß ein paar Zähne als Andenken herausbrechen, wurde aber zur Arbeit gerufen und von einem matrosen weggerissen. Dabei riß ich mir an einem der messerscharfen Zähne die Fingerkuppe auf. Das brennt ganz gehörig und ist vor allem beim Arbeiten hinderlich. Von diesem Hai habe ich jedenfalls ein Andenken, denn die Narbe bleibt.

Den ersten Wal habe ich heute auch gesehen. Er war vielleicht 10-15 m lang. Der Wasserstrahl, den er ausblies, war etwa 5 M hoch.

Sind jetzt ungefähr 21° südl. Breite, also etwa noch 2° bis zur Höhe von Rio de Janeiro.

(geschr. am Montag, d. 1.8.27)

Wir hatten, abgesehen von einem Augenblick, wieder 3 Tage Flaute. Am 4. Tag briste es mächtig auf, und wir machen 11, 12 und mehr Knoten Fahrt. So liefen wir den ganzen Tag lang.FOTO Dann flaute der Wind wieder ab. Jetzt laufen wir nur 4-5 Knoten. Bei der gestrigen starken Brise wurden einige noch einmal seekrank. Sogar einer der Jungmänner (die schon die 2. Reise machen). Der arme Kerl wir bei jedem stürmischen Seegang seekrank. Denn je stärker der Wind, umso höher der Seegang, umso höher die Fahrtgeschwindigkeit, umso stärker die SchlagseiteFOTO und das Schlingern bzw. Stampfen des Schiffes.

In der Flaute machten wir das erste Bootsmanöver. 2 Boote wurden ausgesetzt, einmal um das Schiff gerudert und die Boote wieder eingeschwungen.

Am selben Tag fingen wir den 2. Hai. Er war bedeutend größer, als der erste und schlug und sprang an Deck ganz gehörig umher, bevor es uns gelang, ihn am Poller festzulaschen.

Haie fangen wir folgendermaßen: Sobald jemand die berüchtigte dreieckige Rückenflosse sichtet, schlägt er Alarm. Dann befestigen wir einen Fleischer haken mit einem Klumpen Salzfleisch en einem Tauende und lassen diesen im Wasser immer auf und ab plumpsen. Als erste erscheinen die Vorboten des Hai, kleine blau-grau gestreifte Fische, die wir Bonitos nannten. Sie prüften die Beute. Der Hai kommt langsam näher. In großem Bogen umkreist er die Beute und zieht die Kreise immer enger. Ist er heran, legt er sich auf die Seite und schnappt zu. Auffallend vorsichtig und gar nicht so gierig, wie ich es mir dachte. Aber der Biß ist so kräftig, daß er sich den Fleischerhaken in den Gaumen bohrt. Dann ziehen wir ihn bis an die Reeling, werfen eine Schlinge um den Schwanz und ziehen ihn an Deck. Das muß sehr vorsichtig geschehen, denn der Hai macht gewaltige Sprünge und schlägt wuchtig mit dem Schwanz um sich. Er wird dann möglichst schnell gefesselt, und dann stürzt sich alles voller Wut auf die Bestie. Der Seemann haßt den Hai. Als der Bootsmann ihm sein Messer in den Rücken stoßen wollte, verbog sich das Bordmesser. Wir schitten dem Hai die Flossen ab, schlitzten ihm den Bauch auf, schnitten Leber und Herz heraus, stopften ihm das Herz wieder in den Rachen und warfen ihn ins Wasser. Das Unglaublichste an der Sache war, daß der tote Kerl weiterschwamm. Es waren wohl die letzten Reflexbewegungen.

Ich hatte mir die Rückenflosse aufbewahrt und zum Trocknen ausgelegt. Nach einiger Zeit fing sie aber derart zu stinken an, daß ich sie wegwerfen mußte. Sie war verfault.

(geschr. am Sonntag, d. 7.8.27)

Wir sind etwa auf der Höhe von Montevideo. Bisher war es unangenehm kühl, jetzt wird es schon kalt. Ich habe außer dem Unter- und Arbeitszeug eine Strickjacke, eine Jacke und den Mantel an. Als ich gestern im Mantel Ruder ging, mußte ich ihn auf Befehl von Gippe wieder ausziehen.

Der Grund hierfür wurde mir später von selbst klar: Wir waren eben erst aus der Tropenzone mit seinen hohen Wärmegraden heraus, die wir noch gewöhnt waren, und kamen schnell in kühlere Breiten. Deshalb froren wir schon bei 20°. In kurzer Zeit würden wir bei Kap Hoorn sein, bei Temperaturen um 0° mit Schnee und Hagel. Wenn wir aber bei 20° schon Mäntel anziehen, würde Kap Hoorn unerträglich.

Die Gegend ist nicht ungefährlich. Unsere Offiziere fürchten den Pampero, ein Sturmwind, der aus den Patagonischen Steppen weht. Gippe betrachtet besorgt den sonderbar diesigen Himmel, aber es passiert nichts.

Gestern fuhren wir nur mit Untermarssegeln, gerefften Untersegeln und gerefften Obermarssegeln. Auf der Nachtwache von 12-4 Uhr habe ich das Unterbramsegel mit festgemacht, und als wir damit fertig waren, ans Reffen der Obermars. Es weht eine stürmicshe Brise, und es ist kalt.

Es ist vielleicht ein feines Gefühl, wenn es zum Manöver pfeift. Dann heißt es: Mantel aus, Handschuhe aus und hoch in die frische Luft, die durch die Takelage pfeift, daß es heult und knattert. Und alles, was man anfaßt, ist kalt und naß. Wenn man dann wieder unten ist, ist man vielleicht froh!

Beim Segelfestmachen in der letzten Sturmnacht hatte mir der Wind die Pudelmütze vom Kopf gerissen. Als ich heute in der Takelage arbeite, finde ich sie wieder. Sie hatte sich am Rack verfangen.

Die Kartoffeln werden immer schlechter. Sie stinken direkt. Aber dafür lasen die Maden im Zucker nach. In der Suppe schwimmen sie allerdings noch. Die Käfer aus dem Brot sind verschwunden. Dies ist der einzige Vorteil der Kälte.

Hier unser Speisezettel:

  • Sonntag    früh: Erbsen mit Speck
    mittags: Plum und Klüten, Corned Beef, Kartoffeln, Gemüse.
    abends: Reis mit Zucker und Zimt
  • Montag     früh: Reis mit Curry
    mittags: Erbsensuppe, Räucherspeck, Sauerkohl, Kartoffeln, Sauce
    abends: RatscheduWas ist das? Ratatouille?
  • Dienstag   früh: Braune Bohnen mit Speck
    mittags: Bohnensuppe, Salzfleisch, grüne Bohnen, Kartoffeln, Sauce
    abends: Labskaus
  • Mittwoch   früh: Grütze
    mittags: Erbsensuppe, salzfleisch, Grünkohl, Kartoffeln, Sauce
    abends: Ratschedu
  • Donnerstag früh: Erbsen mit Speck
    mittags: Plum und Klüten, Corned Beef, Schnitt­bohnen, Kartof­feln, Sauce
    abends: Labskaus
  • Freitag    früh: Reis mit Curry
    mittags: Erbsensuppe, Salzspeck, Sauerkohl, Kartoffeln, Sauce
    abends: Ratschedu
  • Sonnabend  früh: Grütze
    mittags: Graupensuppe, Stockfisch, Kartoffeln und Sauce
    abends: Pellkartoffeln mit Hering.

(geschr. am Sonntag, d. 14.8.27)

Gestern haben wir die Le Maire-Straße passiert. Es ist die Meerenge zwischen Feuerland und den Staten Islands.KARTE

An Steuerbord erheben sich die riesigen schneebedeckten Berge Feuerlands. Zwischen den Berghängen liegen ausgedehnte Schneefelder. Ein großartiger Anblick! Die Straße ist so eng, daß man die Brandung an der Küste hört. Das ist gar nicht ungefährlich. Nichts fürchtet der Seemann so sehr wie Feuer im Schiff und eine nahe Küste, vor allem bei Sturm. Hier an der Maire-Straße sind schon viele Schiffe an der felsigen Küste gestrandet. Aber wir Jungen sind unbekümmert. Einer von uns meint, im Falle einer Strandung würde er sich mal ein bißchen mit den Feuerländerinnen beschäftigen.

Plötzlich ziehen Wolken auf. Der Himmel verdüstert sich. Es geht schnell. Gewaltige graue Wolkenmassen wälzen sich heran und türmen sich zu riesenhaften, drohenden Wolkengebirgen auf. Schon stehen sie über uns und verfinstern den Himmel. Jetzt sind sie grau und schwefelgelb. Das gibt Sturm! Inzwischen ist es Nacht geworden, und nun bricht es los. Wir entern auf und machen Segel fest. Während ich hoch oben in stockfinsterer Nacht Segel berge, höre ich tief unten die Brandung gegen die Küste donnern. Aber ich habe keine Angst. Aus einer seltsam gehobenen Stimmung fange ich sogar an zu singen.

Am Morgen hat sich der Sturm gelegt. Wir haben die Maire-Straße verlassen, aber wir sind mitten in üblem Kap-Horn-Wetter. Immer wieder rauschen Hagelböen herunter. Heute wurde ich im Top von einer Böe überrascht, als ich Gordings überholte. Ich hatte kein Ölzeug an. Der Hagel, der so dicht fiel, daß man keine 10 m weit sehen konnte, prasselte derart heftig auf die Hände und ins Gesicht, daß es schmerzte, als würde man von nadeln gestochen. Der schmelzende Hagel lief natürlich in den hals. Ich kam klitschnaß unten an. Das ist zwar erst der Anfang des Kap-Horn-Wetters, aber ich tröste mich: Es ist das letzte Stück der Ausreise.

(geschr. am Montag, 22.8.27)

Weil wir ein Sturmzentrum an der Horn umgehen wollen, machen wir einen gewaltigen bogen nach Süden und gelangen fast bis ins südliche Eismeer. Das war wohl gut so, denn wir sind große Strecken vierkant herumgefahren und hatten überhaupt verhältnismäßig günstiges Wetter. Das Thermometer zeigt um 0°. Es schneit dauernd. Der Wind ist stark bis stürmisch. Das Schiff schlingert wie ein Spielzeug. Zuweilen Schlagseite bis zu 35° nach jeder Seite. Man fällt ungefähr alle Stunde einmal hin. Die Dünung rauscht über die VerschanzungFOTO, und das Deck steht zuweilen ganz unter Wasser. Wir gehen daher über die Laufbrücke. Vier Mann gehen Ausguck: 1 auf der Back, 1 in der Vormars, 1 auf Hochdeck und dann noch der Wachoffizier mit Fernglas. Am Ruder stehen 3 Mann. Es ist lausig kalt. Wir bekommen jetzt auf jeder Wache einen Schnaps zum Aufwärmen. Zu diesem Zweck wird die Wache immer mit dem Kommando „Besanschot an!“ auf dem Hochdeck versammelt.

Das Bettzeug (kl. Kopfkissen und Decke) ist feucht und klamm. Das Logis wird nicht geheizt. Wir haben zwar einen kleinen Kohle-Ofen im Logis stehen, aber es gibt keine Kohlen.

Es gibt Kapitäne, die heizen absichtlich nicht, weil sie meinen, es sei so gesünder, als in dem Mief enger Logis zu schlafen. Sicherlich ist auch die Erkältungsgefahr geringer, als wenn man aus einem überheizten Logis in das naßkalte Wetter hinauskommt. Andererseits ist sicher, daß die Kohle-Einsparung eine von den kleinen Nebeneinnahmen der Kapitäne ist. Der Seemann lebt lieber nach dem Grundsatz: Warmer Mief ist besser als kalter Ozon.

Immer wieder wechseln Regen-, Schnee- und hagelschauer ab. Die Arbeit in der Takelage ist gefährlich. Das Tauwerk ist naß und z.T. vereist. Handschuhe sind völlig sinnlos. Erstens wären sie sofort durchgeweicht und zweitens kann man nicht richtig zupacken. Wenn ich aufentere friere ich zuerst entsetzlich an den Händen, aber wenn ich dann oben bin, sind sie schon wieder warm. Es ist ein scheußliches Wetter, aber es hätte alles noch viel schlimmer sein können.

(geschr. am Freitag, d. 26.8.27)

Wir haben die Horn umrundet und sind im Pazifischen Ozean. Kurs nordwärts.

Nur ca 7 Tage haben wir für die Kap Horn-Passage gebraucht. Das ist eine sehr gute Zeit, aber wir hatten ja auch ziemlich günstiges Wetter.

„Kap Horn-Passage“ nennt man die Umrundung des Kap von 50° südl. Breite im Atlantik bis zu 50° südl. Breite im Pazifik. Die schnellste Umrundung gelang der Priwall in 6 Tagen, die langsamste machte die Susanne in 99 Tagen. Für viele Schiffe war Kap Horn der Tod. Von 1900-1914 sind hier 53 Schiffe verlorengegangen, meist mit der ganzen Besatzung.

Der Grund für die Gefährlichkeit: Wir befinden uns hier in der Westwindzone. Auf der Südhalbkugel gibt es in dieser Zone (um den 40. Breitengrad) praktisch kein Land. Die Winde können hier ungebremst um die Erde rasen, und das tun sie mit ungeheurer Gewalt. Die Seeleute nennen diese Weststürme die „roaring Forties“, die „brüllenden Vierziger“. Hier gibt es die größten Wellenhöhen und die höchsten Wind­geschwindig­keiten (außer im Taifun). Und in diese Zone jagender Weststürme ragt nun noch die gebirgige Südspitze Südamerikas mit Kap Horn hinein, so daß hier gefährliche wirbelnde Stürme entstehen.

Sobald ein Schiff die Le Maire-Straße südwärts verläßt und aus dem Schutz der Berge Feuerlands und der Staten Islands heraustritt, wird es von den „brüllenden Vierzigern“ gepackt und von tobendem Sturm, riesigen Wogen geschüttelt. Wenn dann noch Regen-, Schnee- und Hagelböen hinzukommen, dann kann man zwischen Wasser und Himmel nicht mehr unterscheiden. Der Weg von West nach Ost ist natürlich etwas leichter, aber immer noch gefährlich, denn rasender Sturm von achtern kann auch Masten brechen, und haushohe Wogen können das Schiff von achtern überrollen, in die See drücken oder zum Kentern bringen.

Das Meer kennt kein Mitleid, keine Treue, kein Gesetz, kein Gedenken. Es ist, als wäre es für menschliche Tugenden zu groß und zu mächtig.

Der letzte Abschnitt der Ausreise, mit nördlichem Kurs im pazifik, verläuft ohne besondere Vorkommnisse.

Am Sonntag, d. 4. September nachts laufen wir in Talcahuano ein. Die Stadt ist nicht groß. Das Straßenpflaster ist miserabel, die Bürgersteige sind besser. In der HauptstraßeFOTO fährt eine klapprige Straßenbahn. Die wenigen Steinhäuser sind anscheinend sehr alt. Die untere Bevölkerungsschicht hat das Aussehen von Halbindianern. Der andere Bevölkerungsanteil ist weiß, hat aber durchweg schwarzes Haar.

Talcahuano ist Kriegshafen. Wir gehen in eine Hafenkneipe, aus der Musik klingt. Die Kapelle sitzt auf einer Art Empore. Als wir eintreten (wir sind in Uniform), spielt die Kapelle: „Du hast ja keine Ahnung, wie schön Du bist, Berlin!“. Wir setzen uns mit einigen chilenischen Matrosen zusammen. Sie schimpfen auf Peru, und wir schimpfen mit, denn wir sind höfliche Gäste.

Wenn ein Schulschiff einen Hafen anläuft, gibt es meist einen Empfang. Dsa geschah auch bei uns. Die deutsche Kolonie - der Zuammenschluß der Deutschen in der Stadt - hat einen Empfang mit Festessen veranstaltet, der in einer großen Halle stattfand. Auch der deutsche Konsul aus Conception war gekommen. Wir natürlich in Uniform, die Offz. in blau, wir Kadetten im weißen Paradepäckchen. (An Land, vor allem bei offiziellen Anlässem, ware wir natürlich immer „die Kadetten“, aber an Bord waren wir nur unbedeutende Würstchen). Als Essen gab es Ochse am Spieß. Ein ganzer Ochse wurde an einem großen Gestell am Spieß gebraten, aber das Fleisch war zäh. Als mein nachbar, ein Jungmann, nicht mehr wollte, stopfte ihm der II. Offz immer wieder einen Bissen in den Mund. Der Kadett kaute ihn aus und stopfte ihn dann in einem unbeobachteten Augenblick in seine Tasche. Dann wurde getanzt, aber eigentlich nur die Offz. und die Zivilisten mit ihren Frauen. Für uns Kadetten gab es keine weiblichen Partner. Die Töchter hatten sie zuhause gelassen. Uns erklärten sie mit gesenkter Stimme, wir wären immerhin drei Monate auf See gewesen, na ja, sie hätten die jungen Mädchen lieber nicht mitgebracht. Ich habe eine Runde mit dem deutschen Konsul getanzt, aber das hätte er sich sparen können.

An Bord gibt's 6 Stunden Schlaf und 14 Stunden offizielle Arbeit. Man wird bis zum äußersten ausgenutzt. Um 6 Uhr abends soll Ausscheiden sein, es wird aber regelmäßig später als 7 Uhr. Landgang, der von vornherein nur abends möglich ist, hat man etwa 3 1/2 Stunden. Meist weniger, selten mehr. Einmal fingen wir schon um 5 Uhr morgens zu arbeiten an.

(geschr. am Sonnabend, d. 10.Sept.27)

Aus Talcahuano ausgelaufen am 15. Sept. nachmittags. Hatten gute Fahrt und kommen am 16. gegen Abend in San Antonio an und gingen dort vor Anker. Wurden dann am nächsten Morgen in den Hafen geschleppt. In San Antonio lagen wir bis zum 21. Sept.. Es ist ein kleines Nest. Eine Hauptstraße, alles andere sind Wege (s. FotoFOTO). Von San Antonio bis Valparaiso sind es etwa 40 sm. Auf der Fahrt dahin sehr schwache Brise. Lagen 2 Tage vor Valparaiso, ohne hineinkommen zu können.

geschr. Sonnabend 24.9.

Die Westküste Südamerikas ist ziemlich glatt und gerade. Es gibt kaum einen guten natürlichen Hafen. Die sog. Häfen sind meist nur größere oder kleinere Buchten, die obendrein noch wegen der starken Küstenströmung (Humboldtstrom) schwer anuzsteuern sind. Die Küstenkordillere fällt steil, mancherorts fast senkrecht bis zu 1000 m zur Küste ab. Oft ist nicht einmal ein schmaler Küstensaum vorhanden.

Die Hafenzeit in Valparaiso war die schönste von allen. Auch die Stadt selbst. Asphaltierte Straßen, Omnibusse, Straßenbahnen, Parkanlagen, Plätze. Macht den Eindruck einer angehenden Großstadt.FOTO

Unter der Ladung, die wir hier löschen, sind auch große Kisten mit Geschirr. Mir ging es durch und durch, wenn ich hörte, wie das Geschirr in den Kisten klirrt und scheppert. Man könte ruhig etwas vorsichtiger damit umgehen.

Einmal während eines Landurlaubs treffe ich den Kapitän. Er ging auf der anderen Straßenseite. Da ich kein Geld mehr hatte, lief ich zu ihm hinüber und pumpte ihn um 5 Mark an. Er zog seine wohlgefüllte Brieftasche und gab mir das Geld. Leider hat er es mir von der nächsten Heuer abgezogen. Wir Jungen bekamen monatlich 5,- Heuer, die unsere Eltern aber vorher (mit den 500 Mark Ausbildungsgeld) eingezahlt hatten. Diese paar Mark reichten in den Häfen nur für ein paar Postkarten und ein paar Glas Bier. Dann war es weg.

In Valparaiso trafen wir auch den deutschen Kreuzer „Emden“, der sich augenblicklich auf einer Weltreise befindet.

Am 2. Oktober um 10.15 Uhr gehen wir aus Valparaiso. Zwei Tage lang haben wir dann gute Brise und laufen durchschnittlich 12 sm. Dann flaut es ab, und wir laufen nur noch 2-5 sm. Sind nach Iquique bestimmt.

(geschr. am 6.Oktober)

(Nachtrag)

In Valparaiso sprach mich in einer Gaststätte ein Mann an, der sich als Österreicher ausgab. Er redete viel und lud mich dann in ein anderes Lokal ein, in dem es sehr nett sein sollte. Er war mir irgendwie unsympathisch, aber ich wußte nicht, ob er nur einsam und froh über ein wenig Gesellschaft - noch dazu eines Deutschen - war, oder ob er eine besondere Absicht verfolgte. Schließlich ging ich mit, und wir bestiegen eine Straßenbahn. Unterwegs sagte er, ich würde in dem besagten Lokal sehr nette Mädchen antreffen. Inzwischen hatte ich bemerkt, daß wir uns den Außenbezirken der Stadt näherten. Die Straßenbeleuchtung war sichtlich spärlicher geworden. Da wurde es mir zu ungemütlich, und als die Straßenbahn nach einer Haltestelle gerade wieder im Anfahren war, erhob ich mich plötzlich und sprang von der fahrenden Bahn ab. Ich hörte den verdutzten Österreicher noch rufen: „No, no!“ Dann verschwand ich in Richtung Innenstadt.

Unterwegs traf ich noch einen Maat der „Emden“, dem ich mich anschloß. Der aber hatte andere Absichten und war an meiner Gesellschaft nicht interessiert. So verließ ich ihn und spazierte allein in die Stadtmitte zurück.

Angekommen in Iquique am Sonntag, d. 9. Oktober abends 7 Uhr. Am Montag haben wir den ganzen Tag Ballast gelöscht. Da wir nicht fertig wurden, haben wir die ganze Nacht zum Dienstag durchgearbeitet! Die Herren der Reederei scheinen es sehr eilig zu haben.

Da wir auch noch Wasserballast haben, wurde in der Nacht von Freitag zu Sonnaband gelöscht. Es wäre doch furchtbar, wenn der Ballast am Tage gelöscht würde, denn dann würden wir ja einen halben Tag später fertig werden. Daß wir, besonders der Mann an der Motorwinde, den ganzen Tag vorher gearbeitet haben, scheint die hohen Herren nicht zu stören. Die Hauptsache ist, daß wir schnell fertig werden, denn bei einem Segelschiff, das 35 Wochen unterwegs ist, kommt es sehr auf einen halben Tag an.

Die gesamte Besatzung ist beim Laden und Löschen eingesetzt. Es kommt sogar vor, daß die chilenischen Schauerleute - wir nennen sie „Kanaken“ - an Deck rumliegen und schlafen, während wir arbeiten. Denn die Arbeiter müßten ja bezahlt werden. Aber wir sind ja billige Arbeitskräfte und zahlen sogar noch zu.

Ich hatte mich irgendwo gerissen und trage die Hand im Verband. Trotzdem bin ich zur Arbeit eingeteilt und rolle Zementfässer auf einer Bohle vom Rand der Ladeluke zur Bordwand. Das ging mit der verbundenen Hand nicht besonders gut, und so fiel mir ein Faß von der Bohle herunter auf Deck. Es blieb zwar heil, aber ich kriege ein paar Ohrfeigen. Aber es hatte einen großen Vorteil: Ich wurde als Backschafter abkommandiert. Als solcher hatte ich das Essen aus der Kombüse zu holen und z.B. das Mittagessen schon vor Beginn der Mittagspause in die Schüsseln zu füllen, damit die Leute sofort zu essen anfangen konnten, denn die Mittagspause dauerte nur 20 Minuten! Beim Trillerpfiff des Offz. sprangen sie von den Bänken und sausten nach draußen. Und dann setzte ich mich gemütlich an die Back und aß in Ruhe eine zweite Portion. Es gab nämlich wieder Mehl- und Aprikosensuppe, die süß und schmackhaft war. Wir sind ja in den Tropen. Für manche Kameraden, die mich darum gebeten hatten, habe ich dann auch noch eine 2. Portion in den Schrank gestellt. Dann machte ich den Abwasch, dan war für mich Ausscheiden: Ich legte mich lang.

Küchendienst war eine Strafe, denn sie war unseemännisch und daher eine Art demütigung. Deshalb wurden Jungen, die irgend etwas „verbrochen“ hatten, immer mit ein paar Tagen Küchendienst bestraft. Aber oft war das gar nicht unangenehm.

Ein Jungmann hat sich den Finger gebrochen. Er trägt den Arm in der Binde, muß aber weiter miutarbeiten. Soweit geht die Arbeitswut!

Um 5 Uhr ist Ausscheiden für die Matrosen. Wir Jungen arbeiten offiziell bis 6 Uhr. Sind dann noch kleine Arbeiten unerledigt, werden sie auch noch fertig gemacht. Auf diese Weise ist uns in den Häfen schon viel Freizeit weggenommen worden. Matrosen machen das natürlich nicht, denn denen müßten Überstunden bezahlt werden.

Wir Jungen bekommen nur jeden zweiten Abend Landurlaub. An den anderen Tagen müssen wir nach dem Ausscheiden die Urlauber im Kutter an Land pullen. Denn wir liegen draußen auf der Reede. Die Fahrt bis zur Anlegestelle dauert 1/2 Stunde. Für die Jungen, die Landurlaub haben, ist es immer eine Hetze, denn die Matrosen, die ja 1 Stunde vor uns Ausscheiden, sind längst zum Landgang fertig, wenn wir erst unsere Arbeit fertig haben. Das Umziehen muß dan in größter Eile geschehen, denn die Matrosen schimpfen schon voller Ungeduld. Für den Landgang des Kapitäns steht immer eine Gig bereit, ein schlankeres, schnittiges Ruderboot mit 6 Ruderern, ausgesuchte Jungmänner, groß, schlank, blond und immer in Uniform.

Iquique ist recht schön. Manche Partien erinnern mich an die amerikanischen Städte der Pionierzeit. Die Straßen sind ungepflastert und lassen erkennen, daß die Stadt auf Wüstenboden gebaut ist. Aber die Bewohner haben mit Fleiß und Mühe grüne Parkanlagen geschaffen, die wohl künstlich bewässert werden müssen.FOTO Die Küste ist felsig und furchtbar öde. Hinter der Stadt ragt die Küstenkordillere wie eine steile gewaltige Wand 8oo Meter in die Höhe.

Wir haben einen Ausflug in die Pampa gemacht. „Pampa“ ist wohl ein reichlich euphemistischer Ausdruck, denn es handelt sich um die Atacama-Wüste, die zu den trockensten der Erde gehört. Wir sind auf dem Weg zu einer der vielen Salpeterminen, die sich hier (neben Kupferminen) befinden. Etwa 60 km weit - gut 2 Fahrstunden - fahren wir auf einem offenen Lastwagen ins Land hinein.FOTO Die Gegend ist furchtbar öde, absolut trockene Wüste, in der kein einziger Grashalm wächst. Der ausgefahrene Weg, der sich vor uns unendlich weit bis an den Horizont durch die wellige Landschaft hinschlängelt, führt nur durch Gebiete mit gelblichem Sand und Felsgeröll. In Abständen stehen meterhohe Steinpyramiden als Wegweiser am Wegrand. Und immer wieder kommen wir an Gerippen verendeter Rinder und Pferde vorbei.

Mitten in dieser Geröllwüste liegen die Salpeterminen, weit verstreut. Die Mine, die wir jetzt erreichen, liegt wie eine baumlose Oase in der Wüste.FOTO Sie besteht aus dem Komplex der Maschinenanlagen und daneben der Arbeitersiedlung. Die Arbeiter wohnen in elenden Wellblechbuden an einer staubigen Straße. Es gibt einen großen Kolonialwarenladen und eine Kneipe, vor der ein uraltes Weib hockt und eine Zigarre raucht. Die Werkanlage mit Maschinenhaus, großen Wasserbecken usw hat einen beachtlichen Umfang. Von weitem würde man diese ganze Ansiedlung nicht von dem graubraunen Erdboden unterscheiden können, wenn nicht der Schornstein und die Werksgebäude der Mine etwas höher ragen würden. Neben dem Werk liegen die Häuser der leitenden Angestellten mit Tennisplatz. Werksdirektor und leitende Angestellte sind alles Deutsche. Der Direktor führt uns durch die Anlage. Wir begegnen dem Maschinenmeister und grüßen höflich (und falsch) „buenos dias“. Er antwortet betont „buenos t a r d e s“ und fügt zu unserem Erstaunen hinzu: „Hier könnt Ihr ruhig Deutsch sprechen!“.

Die deutsche Werksleitung hat natürlich komfortablere Wohnungen, als die Arbeiter. Das Haus des Direktors ist wie ein kleines Herrenhaus mit Veranda, genau so, wie ich es mir vorgestellt habe, nachdem ich Geschichten von den deutcshen Faktoreien in Afrika gelesen habe.

Trotz allem muß das Leben für die Deutschen hier furchtbar eintönig sein. Sie erzählen uns, daß sie 3 Monate lang arbeiten, ohne aus dieser öden Siedlung herauszukommen. Dann aber fahren sie alle zusammen nach Iquique herunter und verjubeln bei den verschiedensten Vergnügungen all das Geld, was sie in 3 Monaten verdient haben.

Die salpeterhaltige Schicht liegt nur in 2 m Tiefe, kann also im Tagebau gewonnen werden. Die Deckschicht wird abgeräumt, und die salzhaltige Schicht wird dann in Klärbecken gereinigt. Neben dem Werk lagen große Halden von gelblichem oder rosafarbenem Salpeter. Der Direktor sagt, der Absatz geht zurück. Die Gefahr, daß sich diese großen Salzberge bei Regen auflösen könnten, ist gleich Null, denn seit 3 Jahren hat es hier keinen einzigen Tropfen geregnet, sagt der Direktor. In einer Halle stehen eine Anzahl kleiner Fässer. Sie enthalten Jod, ein Nebenprodukt bei der Salpetergewinnung.

An der Rückfahrt ist nur bemerkenswert, daß der Fahrer wie ein Irrer fuhr. Er nahm die Haarnadelkurven an dem 800 m hohen Steilhang der Küste mit einem Tempo, daß uns jedesmal die Luft wegblieb. Wir sangen, um uns Mut zu machen, aber in jeder Kurve erstarb der Gesang, um nach der Kurve wieder aufzuleben. Zum Abend hin war es übrigens sehr kühl geworden. Wir froren in unserem weißen Leinenzeug. Jetzt wußten wir auch, warum der Maschinenmeister da oben einen dicken Wollpullover trug.

(geschr. am 17.Oktober)

Aus Iquique ausgelaufen am 18. Oktober. Anfang der Heimreise. Kommen augenblicklich nicht sehr schnell vorwärts, da wir Südwest-Kurs steuern.

(geschr. am 21.Oktober)

Dauernd sehr flaue Brise. Teils vollkommene Flaute. 2 sm Fahrt. Dies Wetter hielt etwa bis auf die Höhe von Talcahuano. Von da an besserer Wind. Eine Zeitlang sehr starke Brise. Kurz vor der Horn steigert sich der Wind fast zum Sturm, so daß die Fock zerreißt. Wir wuschen gerade unter der Back Farbe, als das Segel plötzlich mit einem gewaltigen Zischen zerriß und mit donnerndem Knattern durch die Luft pfiff. Die Schoten und Blöcke sausten über unseren Köpfen durch die Luft. Die Segelfetzen wurden schnell dichtgegeit und abgeschlagen. Das neue Segel wurde sofort angeschlagen, wobei wir durch Regenböen und Spritzer der Wellen noch tüchtig naß wurden.

Kap Horn war dann verhältnismäßig milde. Nur der scharfe Wind war böig, so daß wir immer wieder Segel wegnehmen mußten. Der vorsichtige Gippe hat Angst, daß sie ihm wegfliegen. Es war harte Arbeit, aber es hätte noch viel schlimmer sein können.

Am Mittwoch, d. 16. Nov. war Bußtag. Wir dachten, einen schönen Ruhetag zu haben. Daraus wurde aber nichts. Den ganzen tag regnete es in Strömen. Zuweilen briste es so stark auf, daß wir Segel wegnehmen mußten, was bei dem Regen kein Vergnügen war. Jedenfalls waren wir froh, als unsere Wache und damit eigentlich auch der Sonntag vorüber war. Aber da ging es erst richtig los. Wir schliefen noch keine 4 Stunden, als wir mit dem Ruf „Freiwache an Deck“ geweckt wurden. Der Grund war klar: ein Sturm. Die andere Wache allein konnte die Arbeit nicht bewältigen. Es war 1/2 12 Uhr nachts, stockfinster und strömender Regen. Zuerst mußten alle Segel bis auf die Untermarssegel festgemacht werden. Inzwischen war ein Segel, der Mittelklüver, aus den Lieken gerissen und vollständig weggeflogen. Auch Vor- und Großobermarssegel waren zerrissen. Die Horn hat uns noch einmal gepackt, als wir sie gerade hinter uns zu haben glaubten.

Der Sturm hat sich inzwischen zum Orkan gesteigert. Vorn stand nur noch ein Klüver. Es sollte deshalb noch ein Segel, und zwar das Vorstengestagsegel angeschlagen werden. Fast ein Wahnsinn, im Orkan ein Segel auf der Back anzuschlagen. Die Matrosen weigerten sich dann auch, auf den Klüverbaum zu gehen, da sie sich der Gefahr aussetzten, von den ununterbrochen über die Back fegenden Brechern fortgespült zu werden. Deshalb kommandierte der Wachoffizier (Gippe) 5 Jungen zu dieser Arbeit und packte selbst mit zu. Erst sollte noch der Innenklüver festgemacht werden. Dann machten wir - ich war unter den 5 Abkommandierten - das Vorstengestagsegel klar und trugen es auf die Back, wo uns gleich ein donnernder Brecher empfing. Dann banden wir das Segel vorn am Stag fest, wobei ein Brecher nach dem andern klatschend über uns zusammenschlug und zuweilen beinahe fortspülte. Das Wasser war derartig kalt, daß uns bei jedem Brecher einfach die Luft wegblieb, und wir buchstäblich nach Luft schnappten. Alle 6 Mann dachten, jetzt geht es zuende. Wir waren bis auf die Haut naß, trotz Ölzeug und Seestiefel. Nachdem das Segel festgelascht war, verschwanden wir schleunigst von der Back. Nur 2 Mann wurden zum Annähen dagelassen. Als ich die armen Kerle da sah, dachte ich: wie kann man dort nur Menschen hinschicken! Einer von ihnen bekam noch einen Brecher in den Rücken. Er liegt schon seit einer Woche in der Koje. Dabei kann er noch von Glück reden, denn der Brecher hätte ihn auch in den Bach fegen können.

Wir Jungen hatten uns unter die Back verzogen, wo wir bibbernd und frierend herumstanden. Schon kam Gippe schimpfend an und teilte uns zu neuen Arbeiten ein. Ich wurde ans Ruder kommandiert. Hier standen wir nun zu viert, festgelascht, damit wir bei der Schlagseite des Schiffes und gegen Brecher einen festen Stand hatten.

Das Ruder ist ein großes Doppelrad, und an jedem Rad stehen - bei schwerem Sturm - 2 Mann. Verantwortlich für das Steuern ist ein Matrose, die anderen 3 drehen nur mit bzw halten das Rad fest. Die Männer sind mit einem Tau festgelascht, eine Art Schlinge, deren Ende an einem eisernen Haken an Deck befestigt ist.

Ich stehe also am Ruder und kann nun das Geschehen in aller Ruhe beobachten. Und da bekomme ich zum 1. Mal so ein bißchen Angst. Solange man beschäftigt ist und sich auf seine Arbeit konzentrieren muß, hat man keine Zeit, die Umgebung zu beachten. Jetzt aber tue ich es. Das große, schwere Schiff wird von den rasenden Wogen geschüttelt. Die Brecher donnern gegen die Bordwand, daß das Schiff erzittert. Man spürt es in den Füßen. Die Dünung, weit höher als der Schiffsrumpf, rauscht heran und bricht krachend über dem Schiff zusammen. Das Schiff bäumt sich auf und schießt dann wieder mit dem Klüverbaum tief in die schäumende See. Vor- und Achterdeck stehen dauernd unter Wasser. Die Pardunen und Wanten, fast armdicke Drahtseile, die die Masten halten, sind auf der Luvseite zum Zerreißen gespannt, während sie an Lee schlaff herumpendeln.

Vor der Reise habe ich immer auf ein großes Abenteuer gehofft. Vielleicht ein Schiffbruch mit Rettung (natürlich!). Jetzt aber zittere ich und hoffe, daß die Pardunen halten und die Masten stehenbleiben.

Morgens gegen 5 Uhr läßt der Orkan nach. Der Sturm legt sich.

Aber schon am nächsten Morgen hallt der Ruf: „Eisberg 4 Strich an Backbord“. Wir sind mitten in der Treibeiszone. Von jetzt an sichten wir jeden Tag 20-30 Eisberge. Der größte ragte 108 m aus dem Wasser. Der 2. Offz hatte die Höhe mit dem Sextanten gemessen. So schön diese Biester in ihrer gleißenden Pracht aussehen, so ungeheuer gefährlich können sie für uns werden. Jede Nacht mußten wir beidrehen, um nicht Gefahr zu laufen, so ein Biest zu rammen. Dann wäre es mit uns aus gewesen. Deshalb wurden eine ganze Reihe von Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Es gingen 4 Mann Ausguck. Ferner wurde alle 10 Minuten die Wassertemperatur gemessen. Man holte eine Pütz Wasser hoch und steckte ein Thermometer hinein. Das machten wir nachts. Der Eisberg strahlt nämlich eine solche Kälte aus, daß das Wasser in weitem Umkreis sehr stark abgekühlt wird. Als Ausguck konnte man bei einiger Übung einen Eisberg auch bei Nacht aus größerer Entfernung ausmachen. Man erkennt ihn an einem ganz zarten hellen Schimmer in der Ferne auch bei dunkler Nacht. Zu den Eisbergen kam noch Treibeis in ungeheurer Menge. Ringsum Eis, Eis, Eis. Wir fuhren durch ein Meer von geschlossenen Treibeisfeldern, durch das sich das Schiff mit knirschendem und scharrendem Geräusch hindurchwühlte. Es waren große und kleine Blöcke, und ich fürchtete, sie würden unseren Bug mit der Zeit durchsägen. Das ging eine Woche lang so weiter, dann waren wir aus der Zone glücklich heraus.

(Sonntag, 27.10.1927)

Wir sehen eine riesenhafte Wasserhose.

Unser Deck ist schlecht kalfatert. Regen, Stürme, das Salzwasser der Brecher und Tropensonne haben Werg und Teer der Fugen stark mitgenommen. Bei längerem Regen regnet es in unserem Logis fast so stark wie draußen. Der ganze Fußboden schwimmt. Auch in verschiedene Kojen regnet es hinein. Jetzt wird der Schaden ausgebessert.

Der Wind war bisher ganz gut, nur kam er aus einer etwas ungünstigen Richtung, sodaß wir den eigentlichen SO-Passat bisher noch nicht so recht nutzen konnten. Dabei sind wir schon fast aus der Zone heraus und bekommen in nächster Zeit wahrscheinlich den Rest vom Passat.

Sind jetzt in den Tropen. Reinstes Passatwetter. Tropenessen. Nachts wird auch auf Wache an Deck geschlafen, auch wenn es mal ein bißchen regnet. Heute die Insel Trinidad passiert.

(Sonnabend, d. 3.12.1927)

Ich hatte ganz vergessen zu berichten, daß wir an einem Tag mal 2 Albatrosse gefangen haben. Der erste hatte eine Flügelspanne von genau 3 m, der zweite fast 3,50 m. Zum Fang haben wir, d.h. unser Bootsmann, ein dreieckiges Stück Blech an allen 3 Ecken etwas aufgebogen und einen Köder daraufgesteckt. Dann wurde das Blech an einer langen Kabelgarnleine ins Wasser geworfen. Wenn der Albatros angebissen hatte, zogen wir ihn an Bord. Er saß mit dem Bauch an Deck und watschelte höchst ungeschickt vorwärts. Wir maßen seine Flügelspanne, bestaunten ihn eine Weile und ließen ihn dann wieder ins Wasser plumpsen.

Kartoffeln werden knapp. Wir bekommen schon seit einiger Zeit Präserve-Kartoffeln. Das sind rohe, in Scheiben geschittene und in Büchsen eingemachte Kartoffeln. Schmecken verhältnismäßig gut (wir sind ja nicht verwöhnt), sind nur etwas hart. Das Essen ist sowieso schon schlecht genug. Nun auch noch dieser Schmerz. Wenn das so weiter geht...!

(3.12.27)

Die Kartoffeln, die der Kapitän in Chile gekauft hatte, sind schlechte Qualität. Sie faulen schnell. Seit Tagen sind einige Jungs abgestellt, um die Faulen Kartoffeln auszusortieren.

Die ruhige Zeit der warmen Zone benutzt der Kapitän auch, um einen kleinen Nebenverdienst vorzubereiten. Wir öffnen die Ladeluke und steigen in die Salpeterladung hinunter. Der Salpeter ist in doppelten Säcken verpackt. Wir öffnen die Säcke, ziehen den äußeren Sack ab und nehmen nun aus jedem Sack etwa 2 Schaufeln voll heraus und füllen damit die leeren Säcke. Auf diese Weise haben wir einige Dutzend Sack mehr gemacht, die nicht in den Ladepapieren standen. Da Salpeter hygroskopisch ist, wird sowieso immer nur ein Durchschnittsgewicht angenommen, so daß Gewichtsunterschiede von 1-2 Kilo pro Sack gar nicht auffallen.

Zeichnung von S. 46Montag, den 12. Dezember vormittags den Äquator passiert. Kurz darauf einige Tage Mallung. Wir sind fleißig am Malen. Das Schiff wird frisch gestrichen. Da wir jetzt nur eine gringe Fahrtgeschwindigkeit haben, können wir auch außenbords malen.(Arbeiten an der Außenseite des Schiffsrumpfes dürfen nur vorgenommen werden, wenn das Schiff nicht mehr als 4 Seemeilen fährt). Wir werden also an Bootsmannsstühlen an der Außenseite des Schiffes heruntergelassen und pinseln, während 1 m unter unseren Füßen das Wasser vorbeirauscht. Die Arbeit macht Spaß.

Sind jetzt im NO-Passat. Etwa 7° Nord. Bisher keine Flaute mehr. Frische Kartoffeln sind alle. Es gibt nur noch Büchsenkartoffeln. Vom übrigen Proviant ist auch schon verschiedenes alle, z.B. Marmelade, Käse, Wurst, Leimius so geschrieben statt "Lime Juice" (Limettensaft).

(geschr. Donnerstag, 15.12.27)

Sind heute auf 19°16' Nord, also bald am Ende des Passat. Bald kommt der Nordatlantik. Da haben die Offz. mehr zu tun, als den schlafenden Leuten die Beine zusammenzubinden und anderen Unfug zu treiben. Die kühleren Nächte verhindern auch, daß der Flötentörn einschläft und infolgedessen die ganze Bande den Wachwechsel verschläft.

Gestern haben wir die neue Logge angebracht. Die alte hatte ein Hai abgebissen.

Es wird wieder flauer. Machen nur etwa 4 sm.

(geschr. am Mittwoch 21.12.1927)

Wir kommen nur sehr langsam vorwärts. Machen nur etwa 3 sm, denn wir haben eine mächtige Dünung gegen uns. Trotz des bisher noch schönen Wetters haben wir schon Vorbereitungen für den Nordatlantik getroffen. Die Netze an der VerschanzungFOTO  und die Strecktaue auf dem Vor- und Achterdeck sind gespannt. Die Offiziere haben mächtigen Respekt vor dem Nordatlantik. Es ist ja das Gegenstück zu der Westwindzone auf der Südhalbkugel. Der Nordatlantik kann im Winter fast so hart sein, wie Kap Horn. Und wir haben jetzt Winter!

Heute ist der 1. Weihnachtsfeiertag. In der Back steht auf jedem Tisch ein kleiner Weihnachtsbaum. Rechte Weihnachtsstimmung herrscht nur am hl. Abend für einige Augenblicke, am Anfang der kleinen Feier. Wir bekamen vom Kapitän eine große Back voll Punsch, von dem jeder genügend trinken konnte, und 6 kleine Pfefferkuchen pro Mann. Wir sangen die üblichen Weihnachtslieder, und der Kapitän, der einen Augenblick bei uns war, hielt eine kleine Ansprache etwa folgenden Inhalts: Zunächst gratulierte er. Dann sprach er seine ziemliche Zufriedenheit mit der Besatzung aus, mit dem Wunsch allerdings, daß es noch besser werden müßte, denn wir hätten noch den schlimmsten Teil der Reise, den Nordatlantik, vor uns. Nun sollten wir feiern, so gut es eben ging. Dan trank er noch ein Glas auf das Wohl der Lieben zu Hause und ging. Nachdem er fort war, feierten wir weiter, indem wir abwechselnd sangen und tranken.

Am Donnerstag hatten wir Flaute. Diese Flaute benutzten wir, um sämtliche Segel umzuschlagen. Es war ein Tag schwerer Arbeit, aber wir sind an einem Tag fertig geworden.

(geschr. am Sonntag, d. 25.12.1927)

Für die winterlichen Schlechtwetterreisen durch den Nordatlantik werden immer die besten Segel genommen, oft eine ganze neue Garnitur. Wir haben sie deshalb alle ausgewechselt, denn sie werden viel auszuhalten haben.

Ein Jungmann hat ein Geschwür im Hals und droht zu ersticken. Unser 1. Offz. funkt um Hilfe. Einige Schiffe melden sich. Als sie aber hören, daß sie ev. ihre Route ändern und dadurch Zeit verlieren sollten, bricht der Funkverkehr ab.

Es ist unverantwortlich, auf einem Schiff mit 70 Mann Besatzung keinen Arzt anzustellen. Es ist zwar Vorschrift, aber die arme Reederei Laeisz kann die Kosten für einen Arzt nicht aufwenden. Und so wird es geduldet. Der 1. Offz. hat zwar ein medizinisches Patent, aber das reicht für die üblichen Unfälle, Knochenbrüche, Prellungen u.dgl., aber nicht für schwierige Fälle. Viele neigen sogar zu der Ansicht, daß ein Seemann bei der gesunden Seeluft eben nicht krank werden darf. Wenn doch, dann simuliert er wahrscheinlich.

Jetzt müssen wir in der Freiwache sogar an Deck arbeiten. Andere Segler mit 20 Mann Besatzung schaffen ihre Arbeit, aber wir mit unseren 70 Mann können die Arbeit nicht bewältigen. Es arbeitet zuweilen die halbe Freiwache an Deck, und zwar 2-3 Stunden. Ist das nötig und auf einem 2-Wachen-Schiff überhaupt gestattet? Es ist auch schon zum wiederholten Male vorgekommen, daß wir in der Freiwache gezwungen wurden, Zeugwäsche zu machen. In den Tropen war es genauso. Selbst sonntags mußten wir arbeiten. Einige mußten 3 Stunden malen, andere wurden in der Freiwache zum Deckölen rausgeholt. Die Herren Offiziere können es nicht sehen, wenn wir mal einen Tag lang nichts tun, selbst am Sonntag. Da ist hier ein bißchen zu tun, und da etwas zu tun. Wenn es auch nicht lange dauert, aber getan muß etwas werden. Die Fock ein wenig dumpen, die Schoten ein bißchen durchholen usw. Man traut sich kaum die Uniform anzuziehen.

Wir sind kein Schulschiff. In keiner Beziehung ist an Bord etwas davon zu merken. Als sich einer mal Kadett nannte, wurde er ausgelacht. Aber die 500,- Ausbildungsgeld durfte man bezahlen. Nur an Land sind wir „Kadetten“. Da heißt es „Kadetten“ und „Stammbesatzung“. Da wird dann Eindruck geschunden, und Reklame gemacht.

Ich muß aber zugeben, daß man auch etwas für uns getan hat: Die Einladung der deutschen Kolonie, die Besichtigung der Salpetermine, die laufende Benachrichtigung unserer Angehörigen über Schiffsstandort und Gesundheitszustand der Besatzung.

Hatten fast 2 Wochen lang schwache Brise, so daß wir nur 4 höchstens 5 sm liefen. Seit gestern nachmittag aber haben wir stürmischen Wind. Laufen schon beinahe 2 Tage lang 10-12 sm. Sind bei den Azoren. Wir wollen zwischen den Inseln durchfahren. Jetzt wird feste geknüppelt. Die Segel sind neu, also wird so schnell kein Segel weggenommen. Wir haben eine tüchtige Schlagseite, aber es stehen sämtliche Sewgel. Die Verschanzung rauscht durchs Wasser. Immer wieder schwappt die See mit einem rauschenden Schwall von Wasser über die Verschanzung auf Deck. Wer über das Deck laufen will - oder muß -, hangelt sich an den Strecktauen längs Deck, wobei ihn oft genug ein Brecher überrascht, der das Achterdeck unter Wasser setzt. Dan muß man irgendwie hochspringen oder ein Bein anziehen. Wenn das nicht gelang, stand man bis zu den Knien im gurgelnden Wasser. Wenn man Pech hatte, wurde man umgerissen oder gar irgendwo gegengeschleudert.

(geschr. am Freitag, d. 30.12.27)

Unsere Sylvesterfeier bestand darin, daß jeder von uns 2 Pfannkuchen (Berliner Bezeichnung für „Berliner“) bekam und gleich aufaß. Neujahr, diesmal Sonntag, ist vollkommen verregnet. Es regnete den ganzen Tag fast ohne Unterbrechung. Dabei hatten wir stürmischen Wind und eine Fahrtgeschwindigkeit von 13 sm. Der starke Regen behinderte aber die Sicht, so daß wir während der ganzen Wache „klar“ standen, d.h. in Alarmbereitschaft. Das Ölzeug war wieder einmal durchgeregnet, aber wir waren guter Stimmung, denn das Schiff flog dahin, und es ging heimwärts. Abends flaute der Wind ab, und am Montag hatten wir die schönste Flaute, die bis heute andauert. Wir sind etwa in der Höhe von Kap Finisterre.

Wenn viel Wasser an Deck ist, dann tritt die Wache auf den Ladeluken an. Die zum Laderaum führende Luke ist etwa 1 m hoch. Da ist man vor überkommenden Brechern einigermaßen gesichert.

Heute hatten wir ein kleines Manöver. Es pfiff: „Alle Mann mit Schwimmwesten bei den Booten antreten!“. Alles lief zu den Kästen, band sich eine Schwimmweste um und lief zu seinem Rettungsboot. Als alles da war: - wegtreten!

(geschr. am Dienstag, 3.1.1928)

Nach 2 Tagen regelrechter Flaute briste es wieder auf. Wir fahren wieder 10-12 sm. Der Seegang ist zuweilen so stark, daß wir wieder am Ruder festgelascht sind. Das Schiff rauscht durch die aufgewühlte See.

Trotzdem es noch warm ist, wird die Margarine wieder hart, während sie in den Tropen zerlaufen war wie Wasser. Auch das Trinkwasser ist wieder genießbar. Im Passat war es so lau, daß man es kaum trinken konnte. Im Passat hatten wir 40-45° in der Sonne.

Frischwasser - zum Trinken und Waschen - ist eine kostbare Sache. Mit Waschwasser wurde hauptsächlich auf der Ausreise so gespart, daß wir uns öfter mit Kaffee gewaschen haben, um wenigstens saubere Hände zu bekommen. Mit Seewasser kann man sich nicht waschen. Die Seife schäumt nicht. Der Süßwassertank war mit einem Extraschloß besonders gesichert, damit niemand heimlich rangehen konnte.

Jetzt haben wir manchmal wieder tagelang feuchte Sachen an. Der vorherrschende Westwind macht die Luft vollkommen feucht, selnst wenn er ausnahmsweise mal ein paar Tage keinen Regen bringt.

Unser Petroleum ist beinahe alle. Die Lampen sind uns entzogen. Wir haben Kerzen bekommen. Ich bin seit 3 Wochen wieder in mein altes Amt als Lampentrimmer eingesetzt.

Gestern kamen wir der „Priwall“Schwesterschiff der „Padua“ auf Sehweite nahe. Sie fuhr 6 Wochen vor uns aus Hamburg ab, hatte aber immer ungünstigen Wind, so daß wir sie hier eingeholt haben.Heute ist sie auch noch zu sehen, liegt aber schon achteraus. Es ist ein richtiges Wettsegeln, aber wir sind schneller, weil die „Padua“ besser läuft. Die „Priwall“ ist der 3. Großsegler, den wir auf dieser Reise sehen.

Sind voraussichtlich morgen im Kanal, d.h. bei Kap Lizard (Lands End).

(geschr. am Freitag, d. 6.1.1928)

Die See nimmt grünliche Färbung an. Das geht auffallend schnell. Wir nähern uns der englischen Küste.

Am 10.1. morgens 6 Uhr kam das Feuer von Kap Lizard in Sicht. Wir wären noch 2 Tage früher hier gewesen, hätten wir nicht 2 Tage lang Flaute gehabet. Jetzt laufen wir wieder 10-12 sm. Mit rasender Fahrt - über 13 sm - geht es durch den Kanal.

Also: morgens 6 Uhr „Kap Lizard“ - nachmittags Feuer von „Start Point“ - nachts darauf Feuer von „Bill of Portland“ - nächsten Morgen „Isle of Wight“ - mittags querab „Beachy Head“ - nachmittags „Dungeness“ - knapp 2 Stunden später „Dover“ und „Calais“.

Noch ein Nachtrag: Als wir Kap Lizard passierten, rief uns die dortige Funkstelle immer mit „Priwall, Priwall“ an. Da die Priwall ja vor uns ausgelaufen war, erwartete man sie auch als erste zurück. Und da unsere 4 Schwester­schiffe (Pamir, Passat, Priwall, Padua) alle genau gleich aussahen, hatte man den Irrtum nicht gleich bemerkt.

Es wird eng im Kanal. Wir müsen die Fahrt­geschwin­digkeit vermindern und nehmen Royals und Oberbramsegel weg. Großsegel und Bagien sind schon fest.

Am anderen Tag sind wir in der Nordsee. Am Tag zuvor war uns zwar Windstärke 10 gemeldet worden, aber es flaute schnell ab. Laufen etwa 8 sm.

(geschr. am 11.1.1928, Mittwoch)

Am Donnerstag morgens 1 Uhr erreichen wir die Elb­mündung und beginnen, die Segel wegzunehmen. Wir erwarten den Schlepper. Er kommt aber nicht. Deshalb lassen wir um 3.20 Uhr den Anker fallen. Morgens um 6 Uhr kommt dann der Schlepper und nimmt uns auf den Haken. Um ihm die Arbeit zu erleichtern und um schneller nach hamburg uz kommen, Setzen wir einige Segel. Aber da fuhren wir zu schnell, und der Schlepper hatte Mühe mitzukommen. Die Schlepp­trosse begann durch­zuhängen, und der Schlepper­kapitän beschimpfte uns.

Bei Stade treffen wir plötzlich eine Unmenge Eis. Die ganze Elbe und der Hamburger Hafen sind vereist. Um 8 Uhr abends passieren wir die Landungs­brücken. Es ist schon dunkel und sehr kalt. Deshalb waren sie leider sehr wenig belebt. Man winkt uns schweigend zu.

Wir machen im Segel­schiff­hafen fest. Um 1/2 12 Uhr nachts ist Ausscheiden. Die Reise ist beendet.

(14.1.1928, Sonnabend)

Am nächsten Tag treten Jungens und Jung­männer auf dem Hochdeck an. Ein Vertreter der Reederei erscheint zur Begrüßung. Nach einer kurzen Ansprache mit betont fröhlicher Stimme ruft er uns dann die Suggestiv­frage zu: „Na Jungens, es hat Euch doch allen gefallen, nicht wahr?“. Und prompt brüllt alles: „Jawohl!“FOTO

Ich habe Bordwache und stehe an Deck. Es ist eiskalt und dunkel. Nur aus dem Bullauge der Back fällt ein trüber rötlicher Schimmer. Aber das Dämmer­licht der Petroleum­lampe genügt den beiden, die da drin sind. Der Bochumer, der schon während der Seemanns­schulzeit in einem Hamburger Schwimm­verein war, hat Besuch. Ein Mädchen aus dem Schwimm­club. Er kommt heraus und erzählt mir, das Mädchen sei aus anständigem Hause, aber sie habe eben Männer sehr gern. Wenn ich wollte, könnte ich auch ihre nähere Bekanntschaft machen. Aber ich verzichte.

Am 18. Januar werde ich zum Jungmann befördert und erhalte das Angebot, als solcher die nächste Reise der „Padua“ mitzumachen.DOKUMENT

Wir bekommen 3 Wochen Urlaub, die ich benutze, um mich wieder auf meiner alten Schule anzumelden. Ich will erst das Abitur nachmachen.

Ich habe die Seefahrt vorerst aus 3 Gründen aufgegeben:

1. Die Berufsaussichten waren schlecht. Die Welt­wirt­schafts­krise hatte auch die Handels­schiffahrt getroffen. Der Hamburger Hafen lag voll von Schiffen, die keine Ladung fanden. Offiziere fuhren als Matrosen, um überhaupt einen Arbeits­platz zu haben.

2. Die Beförderungsaussichten für Abituri­enten waren doch besser. Die Aussage, daß jeder Matrose auch Kapitän werden konnte, war zwar nicht falsch, aber doch mehr Werbung. Die Praxis sah anders aus.

3. Gefiel mir die lange Abwesenheit von Hause nicht. Das gab Schwierig­keiten für Eheleute. Ein richtiges Familien­leben gab es für einen Seemann eigentlich überhaupt nicht.

Ich hatte den Gedanken an die Rückkehr zur Seefahrt noch nicht ganz aufgegeben. Eine ganze Sammlung von Mißständen an Bord, die ich während der Reise zusammen­gestellt hatte, um sie als Beschwerde an die Reederei zu schicken, habe ich zurück­gehalten in dem Gedanken, daß sie mir bei einer ev. Rückkehr von Nachteil sein könnten.

Hier noch die Positionen der „Padua“. Ich habe sie mir immer vom Burschen des Kapitäns geben lassen, der sie beim Kapitän abschrieb.

DOKUMENT DOKUMENT

Karte mit eingetragenen Positionen

Großtopp. Toppmatrose: Obermatrose Burmester

Kreuztopp. Toppmatrose: Matrose „Franz“, Matrose „Meister“ Beck, Leichtmatrose Franz Vollmer (auf der nächsten Reise ins Meer gespült.)

Jungmänner: Harald Laage (mein ehem. Klassenkamerad), von Lattorf, Stemmler

Jungen: Pommerehne, Sturm,

Nachwort.

Dieses Tagebuch habe ich 1927 als 17jähriger Schiffs­junge geschrieben. 55 Jahre später (1982) lese ich einige Bücher über die alten Wind­jammer und finde darin alles bestätigt, was ich damals an Erleb­nissen, Gedanken und Gefühlen in meinem Tagebuch aufge­zeichnet habe.

Hier einige Passagen:

...... knurrige, erboste Seeleute, die oft genug um ihre Frei­wache kommen...

...... Der Koch, während der ganzen Reise Ziel­scheibe der Unzu­frieden­heit...

...... Die Jungen und Jung­männer, fast noch Kinder, aber tapfer und lachend, weil sie die Gefahr noch nicht in ihrer Größe erkennen...

...... Reederei und Kapitän dringen auf möglichst kurze Hafen­liege­zeiten, weil sie kost­spielig sind...

...... Die schnellen Reisen werden in Zeitungen und Büchern mit hohem Lob bedacht, nautisches Können der Kapitäne, die gute see­männische Ausbildung der Besatzung und die charak­terlichen Eigen­schaften aller...

...... Aber eine Knochen­mühle bleibt es doch, und die Schinderei, vor allem der Jungen, wird dadurch nicht geringer. Es bleibt aber ein Trost: Der Stolz nach been­deter Rekord­reise. Man flucht entsetzlich, aber hinterher ist man doch stolz auf die Leistung...

...... Die Verpflegung war saumäßig schlecht. Verdor­benes Fleisch, verfaulter Käse, aber man war jung und nahm vieles in Kauf...

...... Über das Leben der Männer an Bord der Wind­jammer ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Dieses Leben war schwer, und es war in vielem unsagbar entbeh­rungs­reich. Es war hart vom ersten Tage an. Es war aber auch ein Leben voller Risiken, voller tödlicher Gefahren, die imer da waren, selbst bei schönstem Wetter, im bravsten Passat...

...... Jeder Junge, der um Kap Horn gesegelt ist, hat viel zu erzählen, aber es gibt nur noch wenige Zuhörer, die wirklich wissen, wovon er spricht. Die meisten alten „Teer­jacken“, die noch auf den großen Segel­schiffen gefahren sind, sind tot, und die heutigen Schiffs­besat­zungen sind keine See­leute mehr...

...... Du meine Güte - wenn ich heute von Freizeit­problemen an Bord, von Aggres­sionsstau, Kommu­nikations­mängeln und Kontakt­schwierig­keiten höre, muß ich lächeln. Ich bin auf den letzten Segelschiffen gefahren. Bei einer 84-Stunden­woche gab es keine Freizeit­probleme. Die tägliche Arbeitszeit betrug durch­schnitt­lich 12 Stunden, sonn- und feiertags inbe­griffen. Wir schliefen keine Nacht ungestört, mußten nach 4 Stunden schon wieder aus der Koje raus, und manchmal kamen wir erst gar nicht hinein. Meinungs­verschieden­heiten wurden stehenden Fußes beglichen. Hundert Tage auf See und noch mehr, abge­schnitten von der Welt... aber ich habe mich nicht einen einzigen Tag gelangweilt. Unsere Bewe­gungs­freiheit begann 1 1/2 m über Wasser und endete 50 m über Deck: Eine Hand für dich, eine Hand für das Schiff. Wer runter­fällt, ist selber schuld. Wir träumten von frischem Obst und bekamen nicht einmal frische Kartoffeln. Ein tröpfelnder Wasser­hahn erscheint mir pure Verschwen­dung angesichts der winzigen Wasser­rationen, mit denen wir uns und unsere Kleidung säubern mußten. Ist es eine Kleinigkeit, wenn ein Mann an Blinddarm erkrankt und kein Schiff und kein Funkarzt in der Nähe ist? Oder wenn in den „brüllenden Vierzigern“ 2 Mann gleichzeitig über Bord gespült werden? Ist der Mensch wirklich das Maß aller Dinge? Wie glasklar funkeln in den hohen Breiten­graden des Südens die Sterne über dem dunklen Ozean, der sich unendlich einsam wie im Zustand der Schöpfung von Horizont zu Horizont dehnt. Eine Domäne der Wale, die man seitdem fast ausgerotet hat, und der Albatrosse, die man von ihren Brutplätzen vertreibt. In unserer 84-Stunden­woche hatten wir für alles dieses ein Auge und erlebten unvergeßliche Nächte im Passat und Sonnentage, an denen einem das Herz aufging...

...... Das Romantische ist meist von außen in die Segel­schiffahrt hineingetragen worden. Romantisch war sie wohl zeitweilig, ja, aber selten. Meist war sie hart, fast heroisch, wie einer mal gesagt hat. Das Leben war mühselig und unsicher, die Arbeit voller Gefahren...

E n d e .



Die nächste Reise der „Padua“, die ich als Jungmann mitmachen sollte, wurde eine Unglücksreise.

Arbeitsverteilung während der Reise

  • Nordsee:   Vorbereitungen für den Kanal. Erlernen sämtlicher Taue, ihrer Funktionen und Standorte. Einführung in leichtere Arbeiten. Uns wurde das Gordings-Abstoppen gezeigt. Sind den Matrosen zugeteilt, um ihnen zu helfen.
  • NO-Passat: Brassen tranen, Wanten und Fußpferde sowie alles andere Tauwerk teeren. Rost­stechen auf der Reeling.
  • SO-Passat: Spannschrauben versehen. Farbe waschen. Rost­stechen und männigen und teilweise malen.
  • Kap Horn:  Koks klopfen (in der Ladung). Kabelgarns drehen.
  • Westküste: Vorbereitungen für die Küste. Zwischen den einzelnen Häfen Lade- und Lösch­geschirr aufbringen bzw. abnehmen. Arbeiten in der Ladung.
  • Kap Horn:  Boote, Laufbrücke Skylights scheuern (wenn Zeit)
  • SO-Passat: Das ganze Schiff gemalt.
  • NO-Passat: Das ganze Deck gescheuert (auf den Knien rutschend, mit einem Backstein in den Händen). An einem Tag sämtliche Segel umgeschlagen.

(Nachtrag auf einem Zettel)

Einige Männer der Wache, die (im Passatgürtel) bei Voll-Mondschein an Deck schliefen, hatten beim Erwachen eine geschwollene Backe.

Die Schlangenlinie des Kielwassers verriet den schlechten Rudergänger, der den Kurs nur mit Mühe einhalten konnte.

„Besanschot an!“ der Ruf zum Schnapsempfang bei Kap Horn.

Bei starkem Seegang: Spülung von unten!
Der starke Seegang preßte das Meerwasser in das Abwasserrohr nach oben, so daß es wie 1 Fontäne aus dem Klobecken sprudelte. Wenn man drauf saß, sparte man Papier. 2 Haltegriffe an den Seitenwänden der Toilette verhinderten, daß man bei Sturm vom Becken rutschte.

(Mein Vater hat mir noch folgende Episode erzählt:)

Er hatte eine Arbeit zu erledigen gehabt und meldete dem Bootsmann: „Bin fertig!“ Der antwortete: „Putz Dich ab!“ - Bei der Vielzahl der Aufträge, die er zu verteilen hatte, konnte er sich unmöglich merken, wem er was aufgetragen hatte. Vater hätte melden müssen, womit er fertig war.

Anstelle eines Nachworts des Herausgebers

Im Zusammenhang mit der Ausstrahlung des ARD-Zweiteilers "Der Unter­gang der Pamir" im Herbst 2006 berichtete Chef­reporter Herbert Kistler in „TV hören und sehen“ Heft 46/06 von den Dreh­arbeiten an Bord des russischen Segel­schul­schiffs „Sedov“.

Er schrieb über die Wirtschaftlichkeit der Frachtsegler:

„Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, als längst Dampf­schiffe die Welt­meere beherrschten, liefen in Deutsch­land Groß­segler vom Stapel... Die über hundert Meter langen, schlanken Vier­master fuhren billiger und bei gutem Wind mit 22 Knoten sogar schneller als die Dampf­konkurrenz.“

Über den Kapitän der „Sedov“, Viktor Mishenev:

„Ein schlecht bezahlter Traumjob“

Und über die Kadetten:

„Auf der Rückfahrt begegnet uns ein Container-Gigant - Mythos trifft Monstrum [...] Wenn ihre Ausbildung zu Ende ist, werden sie alle auf solchen seelenlosen Pötten anheuern. Aber sie werden nie vergessen, wie es klingt, wenn die Takelage knarrt und der Wind in den Wanten singt - die alte Melodie der See.“


© Winfried Schrödter - Diese Seite wurde zuletzt am 21.11.2008 11:51 geändert.