29. April 1942

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
GEO & MIL INFO
Försterei Karte — map
OKW-Lagekarte Mai 1942 Karte — map
als Führer der schweren Waffen der 1. Komp.[1] zugeteilt
Christischtscher Wald mit Försterei (Mitte) und Majaki (rechts)[2]
Ausschnitt Försterei
Die „Försterei“
Ausbauzustand der Försterei im Febr. 42; am 29.04. (geplant) 1 verst. Kompanie, verstärkt um 3 sMG, 2 sGrW, 1 Pak oder IG[3]

Es ist Ende April. Die Luft ist warm und trocken. Das Dorf ist nach der Winterruhe wieder lebendig geworden. In den Gärten graben und hacken die Frauen und Mädchen. Unsere Landser helfen stellenweise fleißig mit. Zum Teil haben sie unsere Gespanne zum Pflügen eingesetzt. Der schwarze Boden ist feucht und schwer von der Nässe der Schneeschmelze, aber Tag für Tag sendet die Sonne ihre warmen Strahlen herab, und kräftiger Erdgeruch entströmt dem dunklen Boden. Schon nach wenigen Tagen sprießt das ••• S. 81 •••erste Grün hervor und wächst mit überraschender Schnelligkeit. Es schießt förmlich aus dem Boden. Der Frühling setzt in Russland sehr spät ein, ist aber kurz und geht schnell in den Sommer über. Jetzt bewirken die wärmenden Sonnenstrahlen auf dem von Feuchtigkeit gesättigten Boden ein vitales Aufbrechen, Keimen und Wachsen. Man kann wahrhaftig das Gras wachsen sehen. Das „Gras“ ist aber meist Getreide.

Ich sitze auf der Bank vor dem Haus. Der Abend ist warm und zauberhaft mild. Ab und zu fährt mir ein lauer Lufthauch über das Gesicht. Die Sonne ist schon hinter dem Hang verschwunden, aber ihr Licht lässt den Himmel noch in hellen blauen und grünlichen Pastellfarben aufleuchten. Aus den Kaminen steigt kräuselnder Rauch friedlich in den weiten, hohen Himmel. Vom Dorfbrunnen her wehen schwermütige Melodien zu mir herüber. Es sind Mädchen, die dort singen. In ihren vollen, kehligen Naturstimmen schwingt auch der aufbrechende Frühling.

Die Front ist verhältnismäßig ruhig. Nur von Zeit zu Zeit schießt eine Ratsch-Bum ins Dorf. Uns stört das zwar nicht sehr, aber sie hat immerhin schon einige Bauernhäuser in Brand geschossen, deren Ruinen mitten in dem friedlichen Erwachen der Natur daran erinnern, dass Krieg ist. Das einzige, was in den Trümmern meist stehen bleibt, sind die Kamine, die wie warnende Finger erhoben sind.

Nur von der Försterei schallt immer wieder Gefechtslärm herüber. Sie liegt links[4] von uns auf der Höhe am Waldrand und ist ein Brennpunkt der Kämpfe. Zwischen Majaki und der Försterei liegen noch drei Bunkerstellungen.

Außer Max Müller habe ich hier noch einen alten Bekannten wiedergetroffen: Franz Bachem. Er ist von der Liste der Offizieranwärter gestrichen und wird also Feldwebel bleiben. Dem lebenslustigen Rheinländer hat das scheinbar keinen großen Kummer bereitet. Er ist munter wie immer, oder tut wenigstens so. Er ist auch – seit Kombornia – immer bei der 4. Kompanie geblieben, während ich damals nach Jasło versetzt worden bin.

Ich werde zur Försterei kommandiert.[5] Sie liegt am Rand des großen Christischtscher Waldes, der sie von drei Seiten umgibt. Eigentlich ist es wohl eine Kolchose gewesen, denn es gehören mehrere Gebäude dazu. Außer der Scheune mit Lehmwänden und Strohdach sind alle anderen Gebäude schon in Trümmer geschossen. Aber unter den Ruinen befinden sich starke Bunker. Der ganze Komplex, etwa 100 x 100 m im Geviert, ist zu einem starken Stützpunkt ausgebaut, hat 120 Mann Besatzung, mehrere schwere MGs, Granatwerfer und drei 3,7-cm-Pak. Die Försterei liegt wie ein Sperrfort an dem Weg, der über Karpowka nach Slawjansk führt. Deshalb ist sie den Sowjets ein Dorn im Auge und wird immer wieder mit Beschuss belegt und von Stoßtrupps angegriffen. Da der Russe den Wald beherrscht, der von drei Seiten bis an die Försterei heranreicht, kann er fast unbemerkt bis an unsere Stellungen herankommen. Die Gefahr überraschender Überfälle hängt ständig wie ein Damoklesschwert über dem Stützpunkt und erfordert lückenlose und schärfste Wachsamkeit. Das kostet Nerven, und die Försterei steht in üblem Ruf bei den Landsern.

Nun sitze ich als Führer der schweren Waffen beim Stützpunktkommandanten im Gefechtsstand der Försterei. Der Kommandant ist ein junger, schneidiger Leutnant (namens Schröder), nur etwas nervös. Sein Stellvertreter, ebenfalls Leutnant, ist mit seinem ruhigen Wesen ein passender Ausgleich. Beide sind gut zu leiden. Wir wohnen zu Dritt in einem Bunker unter dem zerschossenen Hauptgebäude. Als vierter Mann sollte eigentlich noch der Melder, ein älterer Mann, bei uns wohnen, aber wegen der vielen Ausfälle und der notwendigen erhöhten Wachsamkeit ist er oft zu Wachen eingeteilt und ist selten anwesend. Um den überlasteten Männern etwas Erleichterung zu verschaffen, übernehme ich ab und zu freiwillig eine Nachtwache.

Auch jetzt habe ich wieder eine Wache übernommen. Ich stehe in einem Erdbunker am Waldrand und blicke durch die Schießscharte über das abgeholzte Vorfeld. Es ist finstere Nacht. Nur undeutlich sehe ich die Stubben und abgesägten Baumstümpfe wie Klumpen am Erdboden. Von Zeit zu Zeit tritt der Mond aus den Wolken hervor und erhellt das Gelände ein wenig. Aber die Schatten der Baumstümpfe machen den unebenem Boden noch unübersichtlicher, ist das dort überhaupt ein Baumstumpf? Hat er sich nicht eben bewegt? Oder ist nur ein Wolkenschatten darüber gehuscht? Stand dort jemals ein Stubben? Wie sah die Stelle eigentlich bei Tage aus? Die Phantasie erblickt in jedem Baumstumpf einen schleichenden Russen. Ich strenge mein ••• S. 82 •••Gehör an. Es ist nichts Verdächtiges zu vernehmen. Ich bohre meine Blicke ins Dunkel. Die Stümpfe bleiben reglos. Langsam weicht die Spannung einer normalen Aufmerksamkeit, bis die Ablösung kommt.

Einige Tage später kracht bei demselben Bunker ein Schuss. Ihm folgt der Aufschrei eines Verwundeten. Angeblich soll ein sowjetischer Flammenwerfertrupp zwischen den Baumstümpfen herangeschlichen sein. Jetzt ist nichts mehr zu sehen, aber der Verwundete schreit noch. Er schreit in langgezogenen Tönen, unterbrochen von stockendem Jammern und Stöhnen. Stunde um Stunde. Seine Kameraden trauen sich nicht mehr auf die Lichtung. Und wir auch nicht. So schreit er die ganze Nacht. Von Zeit zu Zeit verstummt er. Dann jammert er wieder. Aber die stillen Pausen werden immer länger. Sein gedehntes Rufen immer leiser. Dennoch hallt sein Jammern weiter durch die Nacht, bis zum Morgen. Als es heller wird, ist er verstummt.

Eine Ratsch-Bum ist direkt auf unseren Bunker eingeschossen. Sie schießt ••• S. 83 •••in unregelmäßigen Abständen, und auch immer nur einen Schuss.

Dieses Geschütz ist eine hervorragende Konstruktion. Kaliber 7,62 cm. Sehr beweglich, mit schneller Schussfolge und ungeheurer Rasanz. Abschuss und Einschlag folgen in Sekundenbruchteilen: Ratsch-Bum! Man kann sich nicht in Deckung bringen. Für uns ein widerliches Ding. Schon bei meiner Ankunft sehe ich die drei Meter lange Einschlagsfurche auf dem Weg und weiß Bescheid.[6] Dieser Tage ist ein Nachrichtenmann direkt neben unserem Bunker von einer Granate getroffen worden, als er eine Leitung flicken wollte.


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Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

  1. gem. Plan vom 12.05.1942, KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000950
  2. Ausschnitt aus Truppenausgabe Russland 1:100.000 Zusammendruck M-37 111-112
  3. KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000878 - Symbole prüfen
  4. im Original irrtümlich „rechts
  5. wahrscheinlich am 29.04. mit Abzug des I./I.R. 477 aus Majaki (Frame 000850/71), evtl. bereits am 15. oder 16.04. im Zuge größerer Umgruppierungen (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000785)
  6. Am 13.04. hatte es einen Angriff mit einem Panzer und einer Pak auf die Försterei gegeben (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000778). Die Feldkanone Ratsch-Bum fand oft als Pak Verwendung Wenn dies eine Spur davon gewesen sein sollte, wäre der Autor kurz darauf auf die Försterei kommandiert worden sein müssen, solange die Spur noch sichtbar war, was eher für das oben vermutete Datum 15. oder 16.04., spricht.