15. Mai 1942

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
GEO & MIL INFO
Christischtscher Wald Karte — map
ab 15.5. 12.00 Uhr vorüber­gehend LII. A.K.[1]
KG: Gen d Inf Ott WP
So muss der KW-1 erschienen sein
So durchbrachen die T-34 den Wald (WOT-NEWS)
Ein KW II (52 Tonnen, 45,2-cm-Kanone) (abgeschossen, ohne Ketten)
Es ist ein abgewandelter Typ des KW I. Es gab nur zwei Typen dieser KW-Klasse (KW-1 in vier Varianten und KW-2). Sie waren gefährlich, aber zu schwerfällig, und wurden bald durch andere Modelle ersetzt.
(bessere Abbildung eines KW-2)

Der dritte Morgen bricht an, viel zu schnell für unsere abgespannten Nerven. Ob sie heute wohl kommen? oder vielleicht gar nicht mehr? Die Nacht war nämlich ruhig. Zwischen Hoffnung und Zweifel geht es dem neuen Tag entgegen. Und mit den ersten Lichtstrahlen des neuen Tages springen auch die verfluchten Motoren wieder an. Herrgott, wer kann das ertragen. Da sind sie schon! Nur noch dreißig Meter stehen diese widerlichen Riesenkröten vor uns. Es sind vier Stück. Zwei von ihnen stehen noch im Wald, die beiden anderen sind schon bis an den Rand vorgerückt. Ihre Hinterleiber sind noch von Buschwerk verdeckt, ihre Rohre aber recken sich drohend nach vorn. Der stärkste von ihnen ist ein 60-Tonner, ein KW-1. Plötzlich brüllen seine Motoren wild auf, er ruckt an und wälzt sich vorwärts. Die armdicken Bäumchen knicken brechend um und legen sich fächerförmig vor dem Koloss nieder. Der rollt weiter, walzt einen Bunker nieder und steht nun mitten im Hof. Der ist einsam und leer, aber aus den Sehschlitzen der versteckten Bunkerstellungen folgen ihm hundert aufmerksame und etwas beunruhigte Augen. Unsere Männer verhalten sich richtig. Gegen diesen Koloss sind wir machtlos. Unser Ziel ist die Infanterie – wenn sie kommt.

Der Stahlriese dreht jetzt langsam seinen Turm. Ein Blitz – und krachend fährt eine Granate in die Ruine über unserem Bunker. Brruch – eine zweite. Aber er findet kein lohnendes Ziel mehr und steht unschlüssig da. Inzwischen sind auch die andern drei Panzer aus dem Wald herausgerollt und rattern langsam auf den weiten Hof. Es sind T-34.

Da laufen plötzlich ein paar Landser aus einem der vorderen Bunker zurück. Sie fürchteten wohl, abgeschnitten zu werden. Sie hatten die Nerven verloren. Das war auch für die anderen ein Signal zum Rückzug. Nun wollte niemand mehr zurückbleiben. Der Widerstandswille war erschüttert. Eine Gruppe nach der anderen zog sich zurück. Vielleicht glaubten manche auch, es sei ein Rückzugsbefehl ergangen, den sie überhört hatten. Wie dem auch sei – diese vier Männer haben einen schweren Fehler begangen. Durch sie war ein Damm gebrochen, und sie rissen einen ganzen Strom von Männern mit sich. Sie kamen aus den Bunkern, sprangen hinter die Ruinen und liefen im Schutz dieser Mauerreste über eine Wiese, bis zum nächsten Waldrand. Nun mussten auch wir uns aus dem Kommandantenbunker mit den restlichen Männern auf demselben Weg zurückziehen. Am Waldrand setzten wir uns wieder fest. Die Verwundeten im Sanitätsbunker mussten wir zurücklassen, denn der KW-1 stand direkt neben diesem Erdbunker, ohne es zu wissen. Die tapferen Sanitäter waren bei den Verwundeten geblieben.

Vom Waldrand, aus knapp hundert Metern Entfernung, beobachten wir, dass die ersten ••• S. 86 •••russischen Infanteristen in die Försterei eindringen. Es sind nicht viele. Oder trauen sie sich immer noch nicht heraus? Der KW-1 hatte unseren Rückzug bemerkt und rollt nun aus dem Hof heraus in einem großen Bogen um die Ruinen herum auf das freie Feld hinaus. Die Ruinen hatten ihm die Sicht versperrt. Nun hat er freies Schussfeld zu uns am Waldrand hinüber. Er macht Anstalten, auf uns zuzurollen.

Wie er aber da so auf dem freien Feld steht, gerät er in das Schussfeld unserer 3,7-Pak, deren Stellung etwas abseits der Försterei auf freiem Feld lag. Eine 3,7 gegen einen KW‑1 ! das grenzt an Selbstmord, mit diesem „Heeresanklopfgerät“ einen überschweren Panzer bekämpfen zu wollen. Noch dazu, wo diese Pak fast ungedeckt auf freiem Feld steht. Ihr einziger Schutz ist die Mulde, in der das Geschütz steht und aus der es sein dünnes Geschützröhrchen hinaussteckt. So steht diese winzige Pak dem Ungetüm gegenüber wie David dem Riesen Goliath. Aber sie schießt! Diese Draufgänger von Panzerjägern nehmen den ungleichen Kampf auf. Sie knallen dem Koloss eine Granate an den Turm, dass die Funken sprühen. Noch einmal bellt die Pak, aber das Geschoß prallt von dem stählernen Turm ab wie eine Erbse und schießt als glühender Funken kerzengerade in die Luft. Wieder knallt die Pak, und da geschieht das Unglaubliche: Der Riese bleibt stehen, dann rollt er sogar zurück. Er schießt nicht mehr. Wir bemerken, dass er sein Rohr nicht mehr bewegt. Wahrscheinlich hat eine Pakgranate den Drehkranz des Turmes getroffen und verklemmt. Als die drei anderen T-34 ihren großen Bruder zurückwackeln sehen, kriechen sie ebenfalls rückwärts in den Wald zurück. Unser Chef erfasst blitzschnell die Situation und stürmt plötzlich mit „Hurra“ aus dem Wald heraus. Ich folge sofort als zweiter, denn ich lag neben ihm, und brülle ebenfalls los. Nun bricht die ganze Kompanie in Wellen aus dem Wald heraus und rennt unter vielstimmigem „Hurra“ über die Wiese auf die Försterei zu. Der Wald hallt wider vom Kampfgeschrei der vorwärts stürmenden Kompanie. Wir schießen im Laufen, dass es prasselt. Als wir die Försterei erreichen, waren die T-34 mitsamt ihrer Begleitinfanterie auf der anderen Seite schon wieder heraus. Einer der Panzer hatte eine Schneise als Rückweg benutzt. Dabei geriet er in das Schussfeld unserer dritten Pak, die ihre Stellung in der großen Scheune hatte. Sie zerschoss ihm die Kette, so dass er lahmgeschossen liegen blieb.

Der KW-1, der am weitesten vorgeprescht war, ging auch als letzter zurück. Dieser Riese deckte den Rückzug der T-34 und der Infanterie. Die ersten von uns hatten die Ruinen der Försterei schon erreicht, als der KW-1 über den Hof an uns vorbei ruckelte. Er ist keine dreißig Meter entfernt, und der Kommandant guckt mit dem Kopf aus dem Turmluk. Ich jage einen Feuerstoß aus meiner MPi hinauf. Da klappt er schnell den Deckel zu. Noch während der Koloss verschwindet, springt Leutnant Schröder mitten auf den Hof und schießt stehend freihändig den Russen nach. Er steht mir im Schussfeld, und ich brülle, er solle zur Seite gehen, aber er tut es nicht. Ein Feldwebel sagt ihm nach dem Kampf, wenn er so tollkühn weitermache, werde er nicht alt.[2]

Wir stellen das Geballer ein. Es gibt nichts mehr zu beschießen. Die Spannung löst sich. Ich spüre plötzlich einen üblen Geruch in der Nase. Ich schnuppere in die Luft, blicke um mich und stelle fest, dass die Deckung, hinter die ich mich in der Hitze des Gefechts geworfen hatte, aus einem Haufen von getrockneten Gedärmen bestand.

Wir hatten die Försterei gerade wieder zurückerobert, als eine Kompanie unter Führung eines Leutnants ankam. Sie hatte den Auftrag, die Försterei im Gegenstoß zurückzugewinnen und war höchst erstaunt, dass wir schon wieder drin saßen.[3]

Der angeschossene T-34 lag über Nacht auf dem Waldweg in etwa hundert Metern Entfernung. Da kroch ein kleiner Stoßtrupp unter Führung von Leutnant Schröder hinaus. Sie wollten versuchen, das Ding zu sprengen, kamen aber unverrichteter Dinge zurück, weil der Panzer zu stark bewacht war. Deshalb versuchte die Pak, die ihn gestern angeschossen hatte, ihn heute am Tage mit einer Panzerfaustgranate zu vernichten. Die Bedienung schoss zum ersten Mal mit dieser abgewandelten Panzerfaust und hatte noch keine Erfahrung damit. Der Schuss ging fehl. Nun aber hatte der Iwan die Pakstellung erkannt und beschoss sie so lange, bis die Scheune in Brand geriet und niederbrannte.

Das waren drei heiße Tage. Mein erster Kampf gegen Panzer. Es war hart und blutig. In diesen 3 Tagen haben wir 40 Mann an Toten und Verwundeten ver••• S. 87 •••loren. Jetzt sind wir nur noch 80 Mann auf der Försterei. Aber neue Ereignisse lassen uns die Verluste bald vergessen. Außerdem sind wir auch ein bisschen stolz. Drei Tage lang haben uns die Sowjets wieder berannt, aber sie sind nicht einmal mit Panzern durchgekommen!

Auch unsere Verwundeten können wieder aufatmen. Sie waren in ihrem Versteck unter der Erde mäuschenstill geblieben, während über ihnen rote Panzer und Infanterie hin und her wogten. Man hatte sie nicht bemerkt.

Drei wichtige Erfahrungen sind in diesem Kampf wieder bestätigt worden:

1.) Nicht immer entscheiden die Waffen den Sieg, sondern der Mannesmut, nicht die überlegene Waffentechnik, sondern die Nerven und die Unerschrockenheit des Kämpfers (der Chef, der beim Zurückweichen des KW-1 sofort nachstieß).

2.) Der Russe greift oft aus Räumen an, wo man ihn nicht erwartet, weil man glaubt, das Gelände sei für einen Angriff ungeeignet. (Die Panzer kamen nicht auf den Schneisen (wo unsere Pak standen), sondern mitten durch den Wald.)

3.) Das Zurückgehen von Soldaten während des Gefechts (oft sind es nämlich nur Melder) schafft zuweilen kritische Augenblicke. Das muss in der Ausbildung mehr berücksichtigt werden.

Oberst Hans Taeglichsbeck, RgtKdr I.R.477 bis 31.05.1942 (Fotos von 1940/41)

Der Russe ist unberechenbar, aber vorläufig werden wir Ruhe vor ihm haben. Bei uns auf der Försterei ist es sehr still geworden, und wir genießen die ruhigen, warmen Maitage. Einmal erscheint der Regimentskommandeur, Oberst Taeglichsbeck. Er ist groß und hager, mit langem Gesicht, Monokel, zurückhaltend, aber verständnisvoll, ganz Offizier der guten alten Schule. Er benutzt seinen Besuch, um auch mit mir zu sprechen. Erst später ahne ich, dass er sich ein persönliches Bild von mir machen wollte.

Es wird warm, und die deutsche Front beginnt sich wieder zu regen. Der Sommer ist unsere Zeit. Vor unserer Divisionsfront sind die sowjetischen Brückenköpfe auf dem Ostufer des Donez schon wieder eingedrückt. Es scheint irgendetwas in der Luft zu liegen. Eines Tages erscheint unser Divisionsführer Oberst Püchler, den wir den Knödelhuber nennen. Ein bajuwarischer Polterer von echtem Schrot und Korn. In Majaki lief er einmal bei einem Angriff, der ihm nicht schnell genug ging, aufrecht bis in die vorderste Linie und schnauzte die Landser an wie seinerzeit der alte Fritz. Püchler erscheint also mit einem Stab von Offizieren, besichtigt unseren Stützpunkt und zeigt auffallendes Interesse für den Wald. Er spricht mit den Landsern, und aus seinen Fragen schließen wir, dass der große Christischtscher Wald erstürmt und die Front wieder an den Donez vorgeschoben werden soll.

Jetzt sehen wir den Wald mit anderen Augen. Das junge, frische Grün, das unsere Auge bisher erfreut hatte, betrachten wir mit wachsendem Unbehagen. Noch sind die Blättchen klein. Der Wald ist noch licht. Aber mit jedem Tag wird er dichter. Das sprießende Laub wird ihn bald in ein undurchsichtiges Dickicht verwandeln, in eine Mauer von grünem Laub. Dann lauert hinter jedem Gebüsch der Tod, und in den herrlich grünen Baumkronen wimmelt es von Baumschützen.


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  1. KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000998; der Zustandsbericht vom 20.05. wurde an XXXXIV. A.K. gesandt (Frame 001042)
  2. Die nüchternen Meldungen der Division über diese Kämpfe in KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000993
  3. Es könnte sich allerdings auch um eine Kompanie des III./I.R. 228 gehandelt haben, die als Ablösung kam (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000991).