27. Dezember 1944
GEO & MIL INFO | ||||
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Jūrmalciems | ![]() | |||
OKW-Lagekarte Januar 1944 | ![]() | |||
3. Komp. einem Batl der 132. I.D.[1],WP unterstellt
01.01.45 Batl. in Korps-MG-Batl. X umbenannt[2] | ||||
X. A.K. | 18. A. | |||
01.01.45 m.d.F.b.: GenLt ThomaschkiWP | 01.01.45 Boege OB (31. gem. KTB HGr K) |
Feldpostbriefe/Rotkreuzkarten | ||||
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29. ✉ an Eltern 31. ✉ an Carola |

Unser Graben zieht sich vor der aufgelockerten Gehöftgruppe des Dorfes Jurmalciems, zwanzig Kilometer südlich von Libau mit Front nach Süden, entlang.
Als Korps-MG-Bataillon ist es eigentlich unsere taktische Aufgabe, mit unserer ••• S. 230 •••massierten Feuerkraft an Brennpunkten des Kampfes eingesetzt zu werden. Da aber die Fronttruppen der vordersten Linie infolge hoher Verluste stark zusammengeschmolzen sind, hat man unser Bataillon aufgeteilt und kompanieweise anderen Einheiten unterstellt. Ich gehöre jetzt mit meiner Kompanie zu einem Bataillon, dessen Kommandeur ein saugrober Bayer ist.[4] Aber auch in diesem Bataillonsabschnitt bilden wir mit unseren schweren Waffen nicht etwa eine zweite Linie (wie es eigentlich sein sollte, aber im ganzen Krieg nur selten der Fall war), sondern sind wie die Schützenkompanien vorn im Graben eingesetzt. Die HKL ist auf diese Weise zwar gut besetzt, aber hinter uns ist außer Pak und Artillerie nichts mehr. Der einzige Vorteil für mich ist, dass ich meine Kompanie geschlossen zusammen habe und mit ihr einen eigenen Abschnitt verteidige.
Da haben wir nun auf Kursen und Lehrgängen immer von der Tiefenstaffelung der Front durch eine netzartige Anlage von Verteidigungsstellungen gehört, aber hier draußen gibt es fast immer nur eine Linie, die entweder aus einem durchgehenden Graben oder einer Kette von Einzelstellungen und Schützenlöchern besteht. Seit langem ist diese Linie dann auch noch erschreckend schwach besetzt. Ich selbst habe einmal – das war mein krassester Fall – mit meiner 45 Mann starken Kompanie (das ist ein Viertel der Sollstärke!) einen Abschnitt verteidigt, der normal mit 180 Mann besetzt sein müsste. Ich weiß, dass es aus Mangel an Soldaten immer nur zu einer dünnen Linie reicht, aber hier in Jurmalciems könnte man eine zweite Linie aufbauen. Wir könnten die Wirkung unserer schweren Waffen besser zur Geltung bringen, die Feuerkraft des Gegners würde geteilt und zersplittert, und der Angreifer würde selbst nach Durchstoßen der ersten Linie immer noch vor einer zweiten stehen. So aber kann der Iwan sein massiertes Feuer auf eine Linie konzentrieren. Aber ich bin kein Heerführer. Lass’ sie also machen.
Mein Abschnitt ist 1100 Meter lang und besteht aus einem durchgehenden Graben, der mit 90 Mann besetzt ist. Mit unseren vielen schweren MGs besitzen wir eine enorme Feuerkraft, wenigstens gegen angreifende Infanterie. In der Mitte des Abschnitts, etwa sechzig Meter hinter dem Graben, liegt das Gehöft, zwischen dessen Gebäuden die Bunker meines Kompaniegefechtsstandes liegen. Das ist soweit sehr zufriedenstellend, fast ideal, hat nur einen großen Nachteil: Die Männer sind nur kurz ausgebildete Rekruten und umgeschulte Luftwaffenangehörige ohne jegliche Kampferfahrung, die erstmalig an der Front sind.
Unser Bauernhof ist von Zivilisten geräumt. Aber von Zeit zu Zeit kommt ein Mitglied der jetzt weiter im Hinterland lebenden Familie für ein paar Stunden her, um zu sehen, ob alles noch in Ordnung ist. Sie haben die Möbel in den Zimmern zusammengerückt. Einmal sprach ich mit dem Bauern. Er ist sehr befriedigt darüber, dass alles noch heil und unbeschädigt ist. Ich versichere ihm, dass wir alles so schonend wie möglich behandeln. Die einzigen Lebewesen, die den Hof nicht verlassen haben, sind die Katzen.
••• S. 231 •••Seit langer Zeit habe ich endlich wieder einmal eine vollzählige Kompanie. Allein mein Kompanietrupp ist 17 Mann stark: 1 Kompanietruppführer, 2 Melder, 6 Funker, 6 Fernsprecher, 2 Sanitäter.
Die Nachrichtenstaffel und die beiden Sanis sind in einem Bunker neben der Scheune untergebracht. Unter der Scheune liegt ein Bunker, den ich mit dem Kompanietruppführer bewohne. Als dritter Mann hat sich hier mit meinem stillschweigenden Einverständnis noch ein Feldwebel eingenistet. Er ist, ebenso wie der Kompanietruppführer, Luftwaffen-Feldwebel, hat von der Infanterie wenig Ahnung und war, wie die ganze Kompanie, noch nie an der Front. Ich benutze ihn als Melder. Er ist leise, unauffällig und freundlich, aber ein undurchsichtiger Schleicher. Außer dem Kompanietrupp habe ich noch eine 9 Mann starke Reservegruppe. Diese Kompaniereserve ist vorläufig in einem Zimmer des Wohnhauses untergebracht. Neben dem Wohnhaus liegt ein Munitionsbunker.
Unsere Unterstände haben alle Namen bekommen. Mein Kompanie-Gefechtsstand heißt „Carola“. Ich habe das Namensschild über dem Eingang angebracht und lasse mich mit den beiden Insassen gleich davor vom Gefreiten Otto fotografieren.[5]
Die Reservegruppe soll sich hinter dem Wohnhaus einen Bunker bauen. Sie haben gar keine Lust dazu, denn in ihrem Wohnzimmer leben sie viel gemütlicher. Der Schutzbunker ist aber notwendig, und deshalb habe ich es angeordnet. Da die Männer durch das Haus vor Feindeinsicht geschützt sind, können sie tagsüber ungehindert buddeln. So haben sie gleich eine vernünftige Beschäftigung. Der Bau geht sehr langsam voran, weil die Kerle keine Lust haben. Ich lasse sie gewähren. Sie sind ja alle Neulinge an der Front. Nach dem ersten Feuerüberfall werden sie schneller arbeiten!
Auf dem Dachboden der Scheune, die feindwärts liegt, haben wir eine kleine B-Stelle eingerichtet. Wir haben durch das Strohdach ein kleines Loch gestoßen, durch das ich mit meinem starken Fernglas das Vorgelände meines Kompanieabschnittes gut übersehen kann.
Kaum sind wir einige Tage hier in der Stellung, da haben die Landser schon eine Kartoffelmiete entdeckt, die auf dem Acker angelegt war. Da buddeln sie nun auch am Tage drin herum. Ich verbiete das, weil wir durch diese Bewegungen die Aufmerksamkeit des Feindes auf uns lenken.
Abend für Abend, sobald die Dämmerung hereinbricht, beginne ich mit meinen Kontrollgängen durch die Stellungen. Es gibt viel kleineren und größeren Ärger. Überall ist etwas zu bemängeln, zu verbessern, zu befehlen. Selten kann ich mal loben. Da haben sie in einem Unterstand am Tage geheizt, und der Rauch hat natürlich die Lage des Bunkers verraten. Die Russen sind sehr gute Beobachter. Ein andermal steht nur ein Einzelposten, obgleich bei Einbruch der Dunkelheit ein Doppelposten aufziehen soll. Am nächsten Abend steht zwar ein Doppelposten, aber die beiden Landser unterhalten sich laut und ungeniert. Immer wieder treffe ich auf Posten, die ganz offen eine Zigarette rauchen. Da ich, mit Ausnahme des linken Flügels, einen durchgehenden Graben habe, kann ich die Stellungen auch am Tage ablaufen. Auch dann ist vieles nicht in Ordnung. Da steht ein Posten zu hoch, so dass er bis zur Brust über den Grabenrand hinausragt. Bei einem anderen stimmt das Visier am Maschinengewehr nicht. Der würde keinen Russen treffen, weil er über ihre Köpfe hinweggeschossen hätte. Ein anderer Richtschütze kennt nicht die linke und rechte Begrenzung seines Feuerraumes, so dass Lücken im Vorfeld entstehen, die nicht bestrichen sind. So ist heute dies und morgen das. Die Schuld liegt nicht immer bei den Soldaten. Sie wissen noch nicht, wie man sich im Graben und vor dem Feind zu verhalten hat. Ihre Ausbildung war zu kurz. Außerdem lernt man vieles erst aus Erfahrung, die ihnen eben noch fehlt. Vielleicht kommt auch noch eine gewisse Kriegsmüdigkeit hinzu.
Es ist nicht mehr die Truppe von 1939.
Da habe ich z. B. einen Feldwebel, der keinen klaren Satz und keine vernünftige ••• S. 232 •••Meldung herausbekommt. Jedesmal, wenn ich mit ihm zusammen komme, muss ich ihn wegen irgendwelcher Nachlässigkeiten anpfeifen. Ihm ist es nun selbst zu viel geworden. Eines Tages meldet er sich bei mir und bittet um seine Versetzung zu einer anderen Kompanie, da er mir ja doch nie etwas rechtmachen könne. Ich habe nichts dagegen und schlage ihm vor, seinen Wunsch direkt beim Bataillon vorzutragen.
Es ist spät abends. Eben hat mir der Regimentskommandeur einen kurzen Besuch abgestattet. Er war ganz allein gekommen, hatte sich nach allen möglichen Dingen erkundigt und war nur etwas verwundert über meine Verteilung der Nachtposten. Hier hatte ich ihm allerdings etwas vorgeflunkert, um zu verheimlichen, dass ich meine vorgeschobene Stellung noch gar nicht besucht hatte. Das muss ich nun schnellstens nachholen.
Diese vorgeschobene Stellung ist ein Gehöft, das etwa zweihundert Meter vor unserem Graben liegt. Ich habe sie mit einer Gruppe besetzt. Außerdem habe ich einen meiner Fernsprecher, der sich wiederholt befehlswidrig benommen hat, dorthin „strafversetzt“. Als ich ihn nun bei einem Besuch der Stellung wieder mit zum Kompanietrupp zurücknehmen wollte, zeigte er erstaunlicherweise gar keine Lust zur Rückkehr. Also ließ ich ihn hier vorn. Eine Verstärkung hier vorn konnte nicht schaden. Später erfuhr ich, dass die Gruppe da vorn ein vergrabenes Fass mit Pökelfleisch gefunden und ein herrliches Schlemmerleben geführt hatte.
Mitten in der Nacht werde ich geweckt. Der Bataillonskommandeur steht im Bunker. Er hat meinen Abschnitt kontrolliert und angeblich einen unbesetzten Postenstand gefunden. Junge, Junge, was so ein cholerischer Wurzelhuber für einen bilderreichen Wortschatz hat! Zum Schluss kollert er noch etwas von einem „Saupreiß“. Ich habe keine Widerworte gegeben, denn ich bin nicht sicher, ob er nicht doch im Recht ist.
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen |
- ↑ Die Division löste gerade in diesem Zeitraum die 32. I.D. ab (KTB 132.ID vom 26.12.1944 S. 16 und 19; Haupt 1987 S. 98, 106 und 109).
- ↑ Die Umbenennung erfolgte nicht bereits am 21.12.1944, wie vom Autor angegeben, und es gab auch noch eine weitere: KTB 132.ID vom 31.12.1944 nennt noch M.G.-Btl. „Berlin“; KTB X.AK vom 04.01.1945 erwähnt eine Aktion des Korps-M.G.Btl.X am Vortag; am 24.01. schreibt HGr N noch MG.Btl.X, 132.ID bereits Korps-MG.Btl.410; LdW ist fehlerhaft. Die erste Umbenennung wird mit Wirkung vom 01.01.1945 erfolgt sein, die zweite vor dem 24., vielleicht am 10., wenn man das Datum des LdW verwenden möchte.
- ↑ mangels einer zeitnäheren auf der Lagekarte vom 26.02.1945; die Front veränderte sich in diesem Abschnitt praktisch nicht
- ↑ Die 132. I.D. stammte in der Tat aus Landshut; das Bataillon könnte das II./G.R. 438 gewesen sein (KTB X.AK vom 22.01.1945 S. 85).
- ↑ Leider hat der Autor dieses Foto – wie so viele andere – nie erhalten. – Ist Otto ein Vor- oder Nachname? Ist evtl. Otto von Kleinsorgen gemeint, dessen Adresse der Autor besaß? – Von diesem Bunker-Namen berichtet der Autos seiner Frau erst in seinem Brief vom 20.1.45.