29. Januar 1942

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
GEO & MIL INFO
OKW-Lagekarte Februar 1942 Karte — map
DivFhr 257. I.D. zeitweise: Oberst Püchler, Kdr I.R.228[1]
17.A. A.Gr. von Kleist (1. Pz.A.)
1.2.: ChdGenSt Müller GenMaj OB: GenOb von KleistWP
Der Weg des Pendelspähtrupps zwischen Rai Gorodok und Nikolajewka (Norden liegt rechts!)

••• S. 64: Dritter Teil von Ausschnitt "C", ursprünglich mitten im 7.2.42! •••Am nächsten Morgen[2] gehe ich also mit denselben Leuten noch einmal los. Dieser Pendelspähtrupp soll ja in Zukunft regelmäßig laufen, und ich will die Leute ordentlich einweisen. Unsere Bekleidung war über Nacht wieder halbwegs getrocknet. (Als ich gestern abend meine Strümpfe ausziehen wollte, waren sie an den Stiefeln festgefroren.) Heute trage ich sogar Tarnbekleidung. Der Bataillonsarzt hat mir freundlicherweise seinen weißen Arztkittel angeboten, den ich nun als Tarnmantel trage.

Wir haben die Obstplantage bei Nikolajewka bereits durchquert und befinden uns in der freien Ebene auf der „Straße“ nach Rai Gorodok. Es ist kalt. Der Himmel ist stahlblau und die Luft kristallklar. Man kann ungeheuer weit sehen. Da brausen plötzlich drei sowjetische Jagdflieger heran. Die Maschinen jagen im Tiefflug die Straße entlang. Ich „erstarre“ auf der Stelle, und die Landser ducken sich hinter eine Telegrafenstange. In Sekundenschnelle sind sie über uns hinweggebraust. Sie haben uns nicht bemerkt. Das ist fast unbegreiflich, aber man weiß, wie schwierig es ist, bei solchen Geschwindigkeiten auf der Erde etwas zu erkennen. Dennoch wollte ich meine Männer nicht gefährden, falls die Jäger noch einmal zurückkommen. Ich stieg in einen der leeren Bunker an der Straße, von dem ich aus einer früheren Untersuchung wusste, dass er noch einen Telefonanschluss hat, und rief den Adjutanten meines Bataillons in Rai Gorodok an. Ich war ja in meinem weißen Mantel fast unsichtbar, aber die Männer waren in ihren grünen Mänteln auf dem weißen Schnee deutlich zu sehen. Der Adjutant fing an zu toben, warf mir indirekt Feigheit vor und wollte meinen Vorschlag nicht hören. Also marschierte ich wieder los und erreichte das Dorf unbehelligt. Bei der Begrüßung war der Adjutant wieder katzenfreundlich. Es fiel kein Wort mehr über die Sache.

Auch dieser Adjutant war aktiver Zwölfender. In Jasło war der ehrgeizige Kamerad noch Oberfeldwebel. Wir trafen uns dort jeden Tag zum Mittagessen im Kasino. Er konnte mich nie leiden.

Ich suche nun den Kompanieführer der Kompanie auf, die in der vergangenen Nacht ••• S. 65 •••so wild auf mich geschossen hatte. Zu meinem Erstaunen ist es der Oberschlesier, mein alter Quartierskamerad aus Męcinka. Damals war er noch Oberfeldwebel. Auch er ist ehemaliger Zwölfender, wurde inzwischen zum Leutnant befördert und führt jetzt eine Schützenkompanie. Er wollte sich totlachen, als er hörte, dass seine ganze Kompanie auf mich geschossen hatte.

Von ihm erfuhr ich nun folgendes über den kürzlich erfolgten Angriff[3]: Ein ganzes sowjetisches Bataillon hatte sich im Schutz des nächtlichen Schneetreibens (das war wieder typisch russisch!) über die kilometerbreite Ebene an den Ort herangepirscht. Fünfhundert Rotarmisten näherten sich dem ahnungslos schlafenden Dorf. Ein Teil von ihnen robbt, Mann hinter Mann, unter größter Anstrengung in einem rund einen halben Meter tiefen, schneegefüllten Graben heran, der in der Nähe der Brücke und des Bunkers in den Torez mündet. Unter dem Schutz des nun schlagartig einsetzenden russischen Artillerie- und (Granat-) Werferfeuers läuft diese Gruppe, durch die Uferböschung geschützt, zu dem Bunker, überfällt die ahnungslose Besatzung von hinten und metzelt sie nieder. Gleichzeitig stürmt die Masse des Bataillons über das Eis des zugefrorenen Torez und dringt in die erste Häuserreihe ein. Weiter kamen sie aber nicht. Die Deutschen waren nur über die Straße in die Häuser auf der anderen Straßenseite gesprungen und hatten sich dort festgesetzt. Inzwischen war es hell geworden. Sobald sich nun ein Iwan am Fenster zeigte oder gar über die Straße springen wollte, brach er getroffen zusammen. Am übelsten erging es denen, die noch vor dem Dorf im Schnee lagen wie auf dem Tablett. Unsere Landser schossen aus allen Häusern und Winkeln auf diese Zielscheiben. Einer nach dem andern zuckte getroffen zusammen und hauchte seine Seele in die eiskalte Luft. Selbst die Uferböschung bot keinen Schutz mehr, seit unsere Granatwerfer (mein Zug!) ihre Granaten auf das Eis knallten. Nach schwersten blutigen Verlusten zogen sich die Reste des sowjetischen Bataillons zurück, nur wesentlich schneller, als sie gekommen waren.

Dieser sowjetische Angriff hat wieder drei bemerkenswerte Tatsachen gezeigt:

1.) Der Russe greift oft bei schlechtestem Wetter an, weil er dann von uns weder erwartet, noch – bei Schneetreiben – rechtzeitig erkannt wird.

2.) Der Russe kann unglaublich hohe körperliche Belastungen ertragen. Dieses gesunde Volk besitzt eine körperliche und seelische Leidensfähigkeit, die es befähigt, solche schweren Belastungen zu ertragen (wenn auch zuweilen nicht ohne lautes Klagen).

3.) Der erkennt und nutzt auch den unscheinbarsten Geländevorteil. Ein Instinkt, der uns oft schon fehlt.

4.) Die deutschen Wachposten sind zu sorglos und unaufmerksam.

Ich sehe mir das Kampfgelände einmal an. Nach dem Gefecht hatte man die im Dorf gefallenen Iwans zusammengetragen und auf der Dorfstraße aufgestapelt. Ich stehe vor einem Berg von 95 toten und steinhart gefrorenen Russen. Mindestens ebenso viele liegen noch vor dem Dorf draußen in der Ebene, wo sie als dunkle Punkte zu erkennen sind. Die Eingeschneiten wird man erst im Frühjahr wiederfinden. Alle Toten zu bergen, war bisher noch nicht möglich. Den auf der Dorfstraße Aufgestapelten fehlten zum Teil schon Bekleidungsstücke. Die Dorfbewohner hatten sich das noch Brauchbare geholt. Vor allem hatten sie es auf Filzstiefel[4] abgesehen. Sie hatten sie den Toten von den Füßen gezogen, wobei manchmal die gefrorenen glasspröden Füße abbrachen und im Stiefel steckenblieben. Der Anblick dieses Berges von toten Gegnern lässt mich völlig kalt. Nur der Gedanke an die armen Mütter der Gefallenen erfüllt mich mit leisem Mitgefühl.

Die Panne bei meinem Spähtrupp hatte noch einige Nachwirkungen, von denen ich zu meiner Empörung erst später erfuhr. Die Schuld an dieser Panne lag bei meinem Bataillon, genauer gesagt bei dem schon erwähnten Adjutanten. Er hat

1.) weder mich noch das Nachbar-Bataillon von dem Angriff auf Rai Gorodok unterrichtet, so dass ich bei meiner Ankunft vor dem Dorf eine mir völlig unbekannte Situation antraf.

2.) hat er die Front am Ortseingang von Rai Gorodok von meinem Kommen überhaupt nicht unterrichtet. Dabei ist es eine Grundregel, dass die Front genau darüber informiert sein muss, wann und wo ein eigener Spähtrupp im Gelände ist und wann und an welcher Stelle er zurückkommen wird. Da die Posten also ahnungslos waren, mussten sie mich für einen Feind halten. Da die Posten infolge des russischen Angriffs vor ein paar Tagen außerdem noch etwas nervös waren, hatten sie etwas voreilig geschossen. Das hat der Posten auch zugegeben. Auf die Vorhaltung, dass ich ihn doch angerufen hätte, antwortete er, ••• S. 66 •••er habe mich für einen deutsch sprechenden Russen gehalten, und er habe geschossen, weil ich auf seinen Anruf nicht geantwortet hätte. Das konnte ich aber nicht, weil ich den Anruf bei dem heulenden Sturm, den ich im Rücken hatte, nicht hören konnte, während er meinen Ruf, der mit dem Wind ging, gut verstanden hat.

Die ganze Affäre geht also in der Hauptsache auf das Schuldkonto des Adjutanten, der zwei schwere Unterlassungssünden begangen hat. Daneben auf die Nervosität des Postens und schließlich auf das Sturmwetter. Aber der Adjutant hat, um seine Fehler zu vertuschen, den Spieß umgedreht und mir den Vorwurf ungeschickten Verhaltens gemacht. Als mir später nach einem Gespräch mit dem Regimentskommandeur wegen der Meldung des Adjutanten die Zusammenhänge klar wurden, war es zu spät. Den letzten beißen die Hunde. Das war schon immer so. Aber der Regimentskommandeur hat sich sehr nobel verhalten.

Ich war mein ganzes Leben lang, bis heute, immer viel zu bescheiden, harmlos und zuweilen geradezu naiv. Ich habe mich niemals nach Beförderungen gedrängt. Ich habe die „Obrigkeit“ respektiert und auf ihre Tüchtigkeit, Gerechtigkeit und Anständigkeit vertraut. Und erst viel später, in der Gefangenschaft und nach dem Krieg, habe ich erfahren, was sich so alles hinter den Kulissen an Intrigen und Schiebungen abgespielt hat.••• S. 66: Ende Ausschnitt "C" •••

••• S. 61: Haupttext fortgesetzt •••27.–29.01.1942. Seit drei Tagen schneit es pausenlos.[5] Jetzt setzt auch noch ein stürmischer Wind ein. Der Schnee liegt schon einen Meter hoch. Morgens sind die Haustüren schon so zugeweht, dass sie nur mit Mühe zu öffnen sind.


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Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

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Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

  1. KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000137. I.R.228 wurde im Januar 1942 der 257. I.D. unterstellt.
  2. vom Ablauf und Wetter her am 29., jedoch am 29. keine Fliegertätigkeit, nur am 30.01.1942 (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 0000104/111)
  3. am 27.01.1942 (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1805 Frame 000062/124), dem ersten Tag des Schneetreibens (Roll 1804 Frame 000774)
  4. sicher die üblichen Wálinki, sohlenlose Filzstiefel (diesen Begriff hat der Autor auf einem beigelegten Zettel notiert)
  5. Vom 27.01.–10.02.1942 herrschte fast täglich Schneetreiben, am 28.01. auch Sturm, vom 04.–06.02. starker Ostwind bei Temperaturen bis –20 °C. Am 11.02. stieg die Temperatur schlagartig auf +3 °C (KTB 257. I.D. Frame 000774–000792).