5. Juni 1942
GEO & MIL INFO | ||||
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Slawjansk | ||||
6.: RegtKdr: Obstlt Haarhaus[1], BatlFhr I. Batl: Hptm Glaser[2] | ||||
8.: 1. Pz.A. | ||||
OB: GenOb von KleistWP |
Mit der Wiederherstellung unserer alten Donezfrontlinie haben wir die Ausgangsbasis für die neue Offensive geschaffen. Die Vorbereitungen für diese Offensive werden aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Damit ••• S. 94 •••wir aber bloß nicht etwa untätig herumliegen, hat die Division alle OA-Feldwebel zu einem zehntägigen OA-Lehrgang in Slawjansk kommandiert.[3] Ich werde also morgen mit dem Verpflegungs-Lkw in die Stadt fahren. Der Lehrgang findet in einer Kaserne statt, wo wir auch untergebracht sind. Wir schlafen ganz spartanisch auf Strohsäcken auf der Erde. Der Lehrgang umfasst die üblichen Themen: Waffenkunde, Taktik, Menschenführung und Allgemeinbildung. Der Divisionsführer[4] Püchler interessiert sich sehr für uns, ist oft bei den Vorträgen dabei und greift auch in die Diskussionen ein. Dabei ist er nicht zimperlich. Einmal hat er einen Artilleriefeldwebel im Kreuzverhör, wird dabei furchtbar grob und fast beleidigend. Er ist eben ein echter, saugrober Bayer.
Nach Dienstschluss gehe ich in Slawjansk spazieren. Auf einem dieser Wege unterhalte ich mich mit einer schwarzhaarigen Russin, die einer Berliner Bekannten sehr ähnlich sieht. Sie wollte aber nicht, dass ich sie bis zu ihrem Haus begleite.
An einem anderen Tag sehe ich im Vorübergehen in einem Hausflur zwei Mädchen stehen, von denen eine eine Zigarre raucht. Die Mädchen lachten über mein erstauntes Gesicht, und so kamen wir ins Gespräch. Bei der Zigarrenraucherin bin ich dann wiederholt zuhause gewesen. Sie lebt mit der Mutter zusammen. Der Vater ist während der Winterkämpfe um Slawjansk durch eine russische Granate getötet worden. Sie haben ihn im Garten hinter dem Haus begraben. Das Mädchen ist eine leidenschaftliche Raucherin. Sie bettelt mich immer wieder um Zigaretten an. „Gerbert, sa kurritch!“[5]. Da ich Nichtraucher bin, gebe ich ihr öfter meine Tagesration in dem üblichen Tauschverfahren. —
Eines Tages treffe ich einen alten Bekannten aus meiner Rekrutenzeit in Zerbst. Er ist immer noch so klein und rundlich wie damals, aber er ist ein sehr netter Kerl. Wir mochten uns immer beide gern leiden. Er sitzt als Feldwebel und Erster Schreiber beim Divisionsstab unserer Bärendivision.
Als ich heute nach Dienstschluss durch die Straßen bummele, treffe ich an einer Straßenecke auf einen Menschenauflauf. Beim Nähertreten sehe ich eine junge Frau tot auf dem Bürgersteig liegen. Vor wenigen Minuten hatte eine russische „Nervensäge“[6] eine Bombe über der Stadt abgeworfen. Sie war hier auf der Straße explodiert und hatte zwei Frauen und ein Mädchen getötet. Der Luftdruck der Explosion hatte ihnen das Kleid vom Leibe gerissen. Die junge Frau lag fast nackt da.
Selbstverständlich habe ich auch meine alten Quartiersleute öfter besucht, bei denen ich im Winter gewohnt habe. Als ich das erste Mal ins Zimmer trat, waren sie freudig überrascht. Wir hatten uns vier Monate nicht gesehen. Während ich noch in der Stube saß, brachte mir die gute Matka[7] zwei Fleischklopse, die sie gerade gebraten hatte. Ich habe die Klopse gegessen, und heute ärgere ich mich darüber, dass ich diesen gutmütigen Leuten noch das bisschen Fleisch weggegessen habe, denn die Ernährungslage ist schlecht. Möge der Herrgott es ihnen lohnen.
Die 15-jähirge Tochter scheint beinahe verliebt in mich zu sein. Sie ist gar nicht hübsch, rothaarig und sommersprossig, aber sie ist rührend zu mir. Als ich heute das letzte Mal bei ihnen war, verabschiedeten wir uns an dem Holztörchen, das den Hauseingang bildet. Es ist stockfinster. Der Abschied dauert ein Weilchen, und dann schenkt sie mir ganz verstohlen ein Foto von ihr und ein kleines Spitzentaschentuch. Welch eine Kostbarkeit für eine kleine russische Djewutschka[8].
Es war spät geworden. Als ich zur Kaserne zurückkehrte, war es stockdunkel. Man konnte absolut nichts sehen. Wie ich nun auf den Kasernenhof komme, stoße ich mit dem Posten zusammen. Ich hatte nur mein Käppi auf, der Posten aber einen Stahlhelm. Der Erfolg war, dass er mir bei dem Zusammenstoß mit dem Stahlhelmrand die Augenbraue aufschlägt. Und dann macht er noch eine dämliche Bemerkung. Er konnte ja meinen Dienstgrad nicht sehen. Ich musste in den Keller, um mir an der Wasserleitung das Blut abzuwaschen, bevor ich mich zum Schlafen niederlegen konnte. Am nächsten Morgen erscheine ich mit einer blauen Beule zum Dienst, was den unterrichtenden Major zu der Frage veranlasst, mit wem ich mich geschlagen hätte.
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen |
- ↑ Am 01.02.1942 erhielt Haarhaus das Ritterkreuz noch als Major und Kdr I. Btl. Inf.Rgt. 477 (Quelle?); Obstlt 01.04., RgtKdr 06.06. (ToW) bzw. „kurz nach der Schlacht“ (Benary S. 101). Sein Vorgänger Taeglichsbeck wurde am 01.06. zur Führerreserve versetzt.
- ↑ ab Juni 1942 (Benary S. 210)
- ↑ 05.–vermutlich 14.06.1942 (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000903)
- ↑ Im Original „Div.-General“; Püchler wurde erst im Juli 1942 Generalmajor und Divisions-Kommandeur.
- ↑ Gerbert: das Russische kennt kein „H“; за курить, zum Rauchen
- ↑ (finnischer) Spitzname der Doppeldecker Polikarpow Po-2 und R-5
- ↑ vgl. Fußnote oben
- ↑ Девушка, Heranwachsende, Fräulein, Maid