6. Oktober 1944

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Inhaltsverzeichnis

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
Links der erhöhte Personenbahnsteig, damals mit Böschung zu den rechten Gütergleisen[1], heute mit Mauer und weiteren Gütergleisen links (Google Street View)

Freitag früh 10 Uhr soll die Verladung beginnen. Da erhalte ich den zweiten Nackenschlag. Mit der Frühpost kommt ein Telegramm von Carola: „Ankomme Freitag mittag 12 Uhr Landsberg“. Genau um diese Zeit werden wir abfahren! Wenn Carolas Zug oben auf dem Personenbahnsteig einläuft, wird sich unten auf dem Güterbahnhof unser Transportzug in Bewegung setzen! So eine verdammte Schweinerei! Da hat dieser feige Lump mir was Schönes eingebrockt! Ich überlege schnell, was zu tun ist, da hallt durch die Kaserne schon das Kommando zum Fertigmachen.

Während die Kompanien verladen, erzähle ich dem Bataillonsführer, einem älteren Nachrichten­hauptmann, von meinem Pech. Der Alte macht mir gleich einen Vorschlag: „Bleiben Sie mit Ihrer Frau noch einen Tag hier. Kommen Sie morgen mit dem D-Zug nachgefahren. Bis Danzig und bevor wir eingeschifft sind, haben Sie uns eingeholt. Und wenn es nicht klappt – ich decke Sie!“ Aber irgendetwas hält mich ab, den Vorschlag anzunehmen. Es ist mir zu unsicher. Ich habe es mir anders überlegt. Das Bahnpersonal meint, wir würden wohl erst um 1 Uhr abfahren können. Da Carola aber schon um 12 Uhr ankommt, kann ich sie ja noch sprechen. Sie kann dann gleich mit demselben Zug weiterfahren und über Küstrin[2]–Stettin zurückkehren. Dazu braucht sie aber eine neue Fahrkarte. Ich renne also zum Fahrkartenschalter und schildere der Verkäuferin meine Not. Freundlicherweise gibt sie mir dann die Fahrkarten, denn eigentlich darf sie diese nur gegen Reisegenehmigung herausgeben, die ja Carola bei sich hat. Nun laufe ich zum Bahnsteig. Der Zug muss gleich einlaufen. 12 Uhr – 12.10 – 12.20 – kein Zug! Da knackt es im Lautsprecher und eine Stimme verkündet, dass der Zug voraussichtlich eine Stunde Verspätung haben wird. Verdammt und zugenäht! Ich springe die hohe Böschung zum Güterbahnhof hinunter und frage den Lokführer, wie lange sich unsere Abfahrt noch verzögern könnte. Natürlich hatte ich auch ihm bereits meine Geschichte erzählt, denn ich habe heute früh ja nichts anderes im Kopf. Der Lokführer ist ein älterer Mann mit viel Verständnis für meinen Kummer. Mit väterlicher Güte beruhigt er mich und sagt, dass er jetzt noch eine Bremsprobe machen müsse, und dann ging es los. Ich gebe ihm eine Packung Zigaretten und frage, ob man die Bremsprobe nicht etwas verlängern könnte. Glücklicherweise muss unser Zug denselben Bahnsteig passieren, auf dem auch Carolas Zug eintrifft. Daher verabreden wir, dass ich ruhig oben bleiben soll. Er würde dann ganz langsam am Bahnsteig vorüberfahren, so dass ich aufspringen kann. Nun klettere ich voller Hast wieder den steilen Hang zum Personenbahnhof hinauf und mache die Rotkreuzschwestern rebellisch, indem ich auch diesen meine Geschichte erzähle, ihnen die Fahrkarte gebe mit der Bitte, bei Ankunft des Zuges nach Carola zu rufen und sie mit der Karte gleich weiterzuschicken. Ich bleibe aber selbst auch noch oben und stehe wie auf Kohlen. Es geht auf 1 Uhr zu, ich blicke nervös in die Richtung, aus der Carolas Zug kommen muss, aber er kommt nicht. Dann wieder fliegt mein Blick hinunter zum Güterbahnhof. Herrgott, jetzt fährt der Transportzug an! Nein, er stoppt wieder. Ach so, die Bremsprobe! Ich bin nervöser als vor einem Sturmangriff. Da endlich kommt Carolas Zug. Er donnert in den Bahnhof, und das Getöse ist wie Musik in meinen Ohren. Ich laufe an dem vollbesetzten Zug entlang und entdecke Carola in dem Augenblick, als sie schon die Trittbretter heruntersteigen will. Ich winke ab und rufe ihr zu, im Zug zu bleiben. Sie sieht mich erstaunt und verständnislos an, kehrt aber zu ihrem Platz zurück und lässt das Fenster herunter. Ich erkläre ihr in kurzen Sätzen, dass ich im Begriff bin, nach Kurland zu fahren und deute auf den Transportzug unten auf dem Güterbahnhof. Sie müsse leider wieder umkehren. Carola blickt mich mit großen Augen voller Enttäuschung an, und als ich ihr die Fahrkarte gebe, fängt sie an zu weinen. Ich kann sie nur damit ••• S. 217 •••ein wenig trösten, dass ich ja in drei Wochen wieder zurück bin. Da tönt auch schon der Warnruf des Stationsvorstehers: „Zurücktreten!“ Noch ein Kuss, dann trennt uns der anfahrende Zug.

Auf der Bank Carola gegenüber sitzt Leutnant Schröder. Ich hatte ihn meiner Frau schon vorgestellt, aber über dem Trennungsschmerz ist das überraschende Wiedersehen mit diesem sympathischen Kameraden aus den schweren Kampftagen auf der Försterei etwas zu kurz gekommen. Wir haben nur wenige Sätze miteinander gesprochen. Er trägt eine Handprothese. Nun hat Carola wenigstens etwas Unterhaltung und Ablenkung.

Kaum hat der Zug den Bahnhof verlassen, da prustet auch schon auf der anderen Seite des Bahnsteigs mein Transportzug hinein. Im Schneckentempo rollt er am Bahnsteig vorbei. Der Lokführer hat sich weit aus seiner Maschine gebeugt und blickt nach rückwärts am Zug entlang. Ich springe auf und winke ihm dann aus meinem Fenster zu. Er sieht mich aber nicht. Erst als ich meine Mütze zu Hilfe nehme und rufe, geht ein Lächeln über sein Gesicht. Er verschwindet im Lokstand, und bald darauf erhöht der Zug seine Geschwindigkeit.


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  1. gem. Messtischblatt von 1936
  2. Im Original irrtümlich „Frankfurt/Oder“; Carola reiste entweder am Vortag von Cammin (ab 21.17)–Wietstock (an 21.45, ab 22.05)–Gollnow (an 22.58, ab 22.59)–Stettin (an 23.50, Übernachtung) oder, falls jemand sie mit einem Auto nach Gollnow hätte bringen können, von dort (ab 6.08)–Stettin (an 7.02, ab 7.40)–Kreuz (an 9.41, D 16 ab 11.26)–Landsberg (an 12.15, ab 12.18)–Küstrin (an 12.56, ab 17.08)–Stettin (an 19.56, ab 20.25)–Gollnow (an 21.19, ab 21.31)–Wietstock (an 22.24, ab 22.39) nach Cammin (an 23.07). Frankfurt lag nicht an dieser Strecke.
    D 16 war in Kutno um 5.45 abgefahren; die lange Strecke kann durchaus zu einer einstündigen Verspätung in Landsberg führen.