23. Februar 1945
Feldpostbriefe/Rotkreuzkarten | ||||
---|---|---|---|---|
2 ✉ an Eltern |
Wir haben einen neuen Zimmergenossen bekommen. Es ist ein junger Offizier, der mit einem Truppentransporter ins Reich gebracht werden sollte. Das Schiff, auf dem er sich befand, war auf hoher See torpediert worden und gesunken.[1] Deutsche Geleitfahrzeuge haben ihn und die meisten Kameraden dann aus dem eiskalten Wasser gefischt. Es ist immerhin Februar. Nun liegt er hier und soll sich von seiner Unterkühlung erholen. Einige Kameraden sind angeblich länger als zwei Stunden in dem eisigen Wasser herumgepaddelt, ohne sichtbare Schäden erlitten zu haben. Unser Zimmergenosse jedenfalls hat es gut überstanden. Er ist lebhaft und lustig. Aber er beteuert, dass er lieber in Kurland bleiben als sich noch einmal torpedieren lassen will.
Wieder ein neuer Gast. Ein junger Leutnant, dem die Splitter einer Werfergranate wie eine Schrotladung in den Rücken gefahren sind. Jetzt wird der gerade versorgt. Er liegt auf dem Bauch im Bett und wird verbunden. Er ächzt und stöhnt. Die beiden Schwestern gehen sehr zart mit ihm um und reden liebevoll auf ihn ein. Er hält sich auch sehr tapfer. Es ist überhaupt ein Wunder, dass er noch lebt.
Ich kann wieder aufstehen[2] und mache meine ersten Spaziergänge bis an das Portal unten an der Straße. Da stehen gerade lange Kolonnen von Truppen und Fahrzeugen. Ein Offizier läuft hin und her und gibt Befehle. Die Soldaten sind in fröhlicher Stimmung. Es ist eine Division, die nach Ostpreußen verlegt wird. Man sieht ihnen an, dass sie froh sind, hier aus der eingeschlossenen Festung herauszukommen. Insgesamt sollen vier Divisionen, auch eine ostpreußische, nach Ostpreußen verlegt werden.[3]
Heute habe ich mit dem Lazarettgeistlichen gesprochen, um mich nach den Gottesdienstzeiten zu erkundigen.[4] An der Wand hängt ein Spruch: „Unser Todestag ist der Seele schönster Feiertag, denn sie geht zu dem, der sie am meisten liebt.“ Ja, so sollte man den Tod ansehen: Geburt zum ewigen Leben. Wer so fest im Glauben und in der Hoffnung steht, dass er die animalische Todesfurcht überwinden kann, der hat wahrlich den Frieden der Seele, den die Welt nicht geben kann. Wahren Frieden in der Seele, trotz Tod und Vernichtung ringsherum. Aber wir sind nur menschliche Lebewesen in dieser Welt, und die Todesangst ist natürlich. Nur tief gläubige Menschen sind frei davon.
Der Pfarrer muss noch eine Besorgung machen und lässt mich solange in seinem Zimmer warten. Bevor er geht, gibt er mir noch zwei Riegel Schokolade, die er in einem Pappkarton aufbewahrt. Sie stehen ihm für seine Verwundetenbesuche zur Verfügung. Nun sitze ich vor seinem Bücherregal und erfreue mich an dem seltenen Genuss der Schokolade und eines guten Buches. Den zweiten Riegel[5] Schokolade hebe ich mir noch auf.
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Originalmanuskript |
- ↑ Es muss sich um den Transporter „Göttingen“ handeln, der am 23.02.1945 von Stettin kommend kurz vor Libau von einem sowjetischen U-Boot durch Torpedo versenkt wurde (s.a. Forum-Marinearchiv).
- ↑ Das erste Aufstehen wird bereits im Feldpostbrief vom 17.02.1945 erwähnt.
- ↑ Diese Division ist am ehesten die 93. I.D. oder die 215. I.D. Zwischen dem 2.2., als der Abtransport des III. SS-Pz.K. mit (ausländischen) Freiwilligen-Div. aus Kurland nach Pommern sowie der pommerschen 32. I.D. und der rheinischen 227. I.D. nach Westpreußen bereits läuft, und dem 11.2. werden auch die bayerische 4. Pz.Div., die pommersche 281. I.D. und die böhmische 389. I.D. nach Westpreußen abgefahren, zwischen dem 9. und dem 15.2. die brandenburgische 93. I.D. nach Ostpreußen. Zwischen dem 22. und dem 26.2. wird dann die württembergische 215. I.D. nach Danzig gebracht. Eine ostpreußische Division ist in diesem Zeitraum nicht zu finden. (KTB OKW 1944–1945 S. 1064–1130; KTB OKH, NARA T-78 Roll 308 Band 137–139)
- ↑ Im Feldpostbrief vom 23.02.1945 wird der Besuch beim Pfarrer erwähnt.
- ↑ im Original „2 Riegel“