27. Januar 1945
Feldpostbriefe/Rotkreuzkarten | ||||
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✉ an Carola (durch Woock) |
Ein klarer, eiskalter Januartag. Drüben beim Iwan sehen wir ein paar Gestalten an einem Haus stehen. Jetzt verschwindet eine in der Haustür, während die andere um die Ecke geht und dort stehen bleibt. Ein Feldwebel greift zum Gewehr und schießt hinüber. Er trifft aber nicht. Die Entfernung ist zu groß, fast ein Kilometer. Der Feldwebel, der sich seinerzeit wegmelden wollte, ist nun doch geblieben. Er liegt jetzt als Führer meiner Kompaniereserve in dem zweiten Bunker meines Gefechtsstandes. Er hat sich als ganz netter Kerl entpuppt.
Die Sowjets beginnen, unsere neuen Stellungen abzutasten. Sie schießen, um unser Feuer herauszulocken und auf diese Weise unsere Feuerstellungen zu erkennen. Gleichzeitig nehmen sie Punkte unter Feuer, die sie für lohnende Ziele halten. Besonders haben sie es auf die Kirche abgesehen. Obgleich nur noch die hohen Grundmauern des Gotteshauses stehen, nehmen sie sie immer wieder unter Beschuss, dass bei jedem Einschlag Steine und rötlicher Ziegelstaub durch die Luft wirbeln.
Vorn fällt ab und zu ein Schuss. Ich stehe in der Stellung und beobachte das Vorgelände ein wenig durch mein Glas. Da kommt gerade der Verpflegungsschlitten, der eben beim 1. Zug war, aus dem Wald und biegt auf die Straße ein. Wie er drüben auf der Straße in Höhe meines Bunkers vorbeifährt, erkenne ich Leutnant Harms, der hinten auf dem Schlitten sitzt. Er lächelt freundlich zu mir herüber und deutet auf seinen Fuß. Er ist verwundet und fährt nach hinten. Für die Kompanie ist es kein Verlust.
Ich stehe im Dämmerlicht des Winterabends neben meinem Bunker und beobachte das Vorfeld. Ich richte mein Glas auch auf einzelne Stellungen meines Abschnitts, die durch das Glas zum Greifen nahe sind. Hinter mir höre ich Pferdegetrappel. Aus dem Dorf kommt ein großer Schlitten in flottem Trab heran. Das ist sicher unsere Verpflegung. Als er in Höhe meines Bun••• S. 248 •••kers ist, der ja in der Nähe der Straße liegt, erkenne ich, dass der Fahrer ein Pionier ist, der hochaufgerichtet in dem Kastenschlitten steht und mit seinen beiden prächtigen Rappen in sausender Fahrt die Straße entlang prescht. Nanu, der fährt ja vorbei! Er hat in der Dunkelheit unsere Stellungen übersehen. Ich brülle hinterher, aber der Fahrer hört es nicht, denn er ist dick vermummt. Herrgott, er ist schon über unsere Linien hinaus! Jetzt poltert er über die kleine Holzbrücke, die etwa fünfzig Meter vor unseren Stellungen liegt. Hier kreuzt die Straße einen kleinen Bach. Und jetzt jagt der Schlitten auf der Straße weiter durch das Niemandsland auf die russischen Stellungen zu. Es dauert nicht lange, da höre ich langgezogene Hilferufe. Klar und deutlich trägt die kalte Winterluft seine Schreie bis hierher: „Hiiilfäää – Hiiilfääää!“ Aber wir können ihm nicht mehr helfen.
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