30. Januar 1945
GEO & MIL INFO | ||||
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Hptm Petersen BatlFhr im G.R. 187 |
Feldpostbriefe/Rotkreuzkarten | ||||
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✉ an Carola?[1] |
Gegen Morgen brummen die Panzer plötzlich laut auf. Sie kriechen zurück. Das Feuer flaut ab. Auch dieser Angriff ist abgeschlagen. Ich ziehe meine Gruppe wieder heraus und ziehe mit meinem Zug in unsere Reservestellung zurück.
Ich bin einen Tag hinten bei meinem Tross und inspiziere die Unterkünfte und den Betrieb. Natürlich ist alles in bester Ordnung, da mein Kommen bekannt war. Ich schreibe einen Brief an Carola[1] und fordere dann meine vier Nahkampfpäckchen, die ich zur Aufbewahrung hierher gegeben hatte. Sie sind nicht aufzufinden. Natürlich haben die Kerle sie aufgefressen. Erstaunlicherweise ärgere ich mich nur wenig über diese Unverschämtheit. Geschieht mir ganz recht. Ich bin kein starker Esser und bin immer mit wenig zufrieden. Daher habe ich auch den Verpflegungsfragen in der Kompanie zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das soll in Zukunft anders werden. Vor allem werde ich dem Hauptfeldwebel bei der Anforderung und Verteilung der Päckchen etwas mehr auf die Finger sehen. Es ist nur etwas schwierig durch zu führen, wenn man wochenlang vorn im Graben liegt. Da kann der Spieß dann hinten nach eigenem Gutdünken walten, was sie alle weidlich ausnützen.
Heute ist der Waffen-Unteroffizier mit dem Verpflegungsschlitten nach vorn gekommen. Er ist ein stämmiger Bursche und kolossal eifrig. Er schimpft wie ein Rohrspatz, weil die Züge die leeren Muni-Kästen so selten zurückschicken. Er durchsucht alle Bunker und Unterkünfte und findet in dem Haus des 3. Zuges dabei sogar noch einen Essenkanister. Da platzt ihm förmlich der Kragen.
30.1.45. Links von uns, drüben im Barta-Abschnitt, dröhnt schon den ganzen Tag starkes sowjetisches Artilleriefeuer.[2] Ich ahne nichts Gutes, und als dann abends das Telefon schrillt und das Bataillon sich meldet, wusste ich schon, was kommen würde: Stellungswechsel nach links! Der Russe hat einige Einbrüche erzielt, und wir sollen in die Bresche springen. Ich gebe also an die Kompanie Befehl zum Fertigmachen. Als es dunkel wird, fassen wir noch einmal Verpflegung, und dann verlassen die Züge die Stellungen, um sich beim Bataillon zu sammeln.
Während die Männer vor dem Haus des Bataillonskommandeurs in Gruppen zusammenstehen, gehe ich hinein, um mich zu melden. Da erkenne ich Oberst Mann. Er ist wieder selbst gekommen, um mich in meinen neuen Auftrag einzuweisen. Er steht mitten im Raum. Hinter ihm mein Bataillonskommandeur[3] und der Adju. Ich stehe ihnen gegenüber, feldmarschmäßig im Tarnbekleidung mit Stahlhelm und umgehängter MPi. Oberst Mann begrüßt mich in seiner forschen Art. Zuerst beglückwünscht er mich zu dem schneidigen Gegenstoß in dem Wald und schließt mit den Worten: „Seien Sie gewiss, dass das nicht vergessen wird!“ Dann breitet er eine Karte auf dem Tisch aus, zeigt mir den neuen Einsatzraum und erläutert mir meinen neuen Einsatz, bei dem ich einem anderen Bataillon unterstellt werde. Da ich keine Karte bekommen kann, versuche ich, mir das Kartenbild und den Weg zum neuen Einsatzraum ins Gedächtnis einzuprägen. Oberst Mann fährt fort: „Drüben im Barta-Abschnitt greift der Russe mit starken Kräften an und ist stellenweise in unsere Verteidigungslinie eingebrochen. Ihr Auftrag ist es, eine Riegelstellung aufzubauen und den weiteren Einbruch der Russen zu verhindern.“ Jetzt hebt er die Stimme: „Heute werden Sie noch 2. Linie sein, aber denken Sie daran, dass diese Linie morgen schon HKL sein kann!“ Dann werde ich entlassen. Kurzer Händedruck, Kehrtwendung – ab.
Draußen lasse ich die Kompanie antreten, setze mich an die Spitze und marschiere in die dämmerige Winternacht hinaus. Über eine kleine Holzbrücke gelangen wir auf die andere Seite eines Baches (ein Barta-Nebenflüsschen?)[4] und steigen dann den sanften Hang des Tales hinauf. Dann gabelt sich der Weg. Einer biegt direkt zur Front ab, der andere läuft parallel zu ihr auf der Höhe weiter. Ich folge dem letzteren, der sich bald oben auf der kahlen, verschneiten Hochfläche verläuft. Ich bin noch keine fünfhundert Meter gegangen, da werde ich unsicher. Es ist so seltsam ruhig hier oben. Irgendetwas stimmt hier nicht, obgleich ich nicht sagen kann, was. Mein Instinkt meldet sich. Das ist nicht der richtige Weg! Kehrt, zur Wegegabel zurück! Dort angekommen, blicke ich ••• S. 254 •••mich in der Gegend um und entdecke am Rand des anderen Weges in der Nähe der Gabelung eine dünne Rauchfahne, die aus einem Bunkerschornstein aufsteigt. Ich laufe die achtzig Meter voraus und steige in den Bunker hinunter. Er ist von Pionieren besetzt, die die kleine Brücke sichern. Auf meine Fragen können sie aber keine Auskunft geben. Sie kennen weder das Bataillon noch den Weg dorthin. Also muss ich auf ein bisschen Glück vertrauen. Ich folge nun diesem zweiten Weg, obgleich er viel zu früh zur Front abbiegt, denn mein Marschziel ist viel weiter entfernt. Aber bald macht der Weg eine sanfte Biegung und läuft nun parallel zur Front. Das ist der richtige! Er läuft auf halber Höhe des kahlen Hanges entlang. Die dunkle Kolonne der Kompanie hebt sich deutlich von der hellen Schneefläche ab. Einzelne verirrte rote Leuchtspurgeschosse zischen von der Front zu uns herüber. Ein Gehöft taucht auf. Ein großer, wuchtiger Hof, der etwa dreißig Meter abseits des Weges steht. Während die Kompanie Halt macht und viele Landser sich gleich in den Schnee zum Ruhen niederlegen, gehe ich auf den Hof. Alles ist totenstill, kein Mensch zu sehen. Das Gehöft ist verlassen. Also weiter. Nach einer knappen halben Stunde treffen wir erneut auf ein Gehöft. Ich mache mich wieder auf die Suche, während die Männer sich auch hier wieder auf den Boden der offenen Scheune niederlassen. Auch dies hier ist ein großer Hof mit einer ganzen Gruppe von Gebäuden. Vielleicht sind es zwei Höfe. Hier begegne ich einigen Gestalten. Es sind Deutsche. Ich erfahre von ihnen, dass der Bataillonsgefechts¬stand fünfhundert Meter entfernt in einer sanft abfallenden Mulde liegt. Mein Kompanietruppführer war bei der Kompanie geblieben. Ich gehe aber nicht dorthin zurück, sondern gehe allein zum Bataillon hinüber. Ich trete in den geräumigen Unterstand und melde mich bei dem Bataillonsführer Hauptmann Petersen. Er ist ein ruhiger, sehr sympathischer Hamburger mit stark angegrauten Schläfen. Er schildert mir kurz die Lage und gib mir dann meine Einsatzbefehle. Ich soll, wie mir schon bekannt, eine 2. Linie aufbauen, auf die die 1. Linie notfalls zurückgenommen werden kann. Außerdem soll ich eine Gruppe zur Verstärkung nach vorn in die schon sehr lückenhafte 1. Linie schicken.
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen |
- ↑ 1,0 1,1 Offenbar hat der Autor dieses Briefschreiben mit einer anderen Gelegenheit verwechselt, wo er tatsächlich beim Tross Briefe schrieb. Die unmittelbar vor und nach dem 30. verfassten Briefe hat er jedenfalls nicht beim Tross geschrieben, da er sich am 28. ausdrücklich „hier vorn“ befand bzw. am 31. mit der „Nummerierung völlig aus der Reihe gekommen“ war, nachdem er seinen „Kalender zum Troß gegeben“ hatte.
- ↑ „fast einstündige starke Feuervorbereitung“ (Tagesmeldung 87.ID, KTB X.AK vom 30.1.45)
- ↑ Wegen der nachfolgenden Bemerkung, dass er „einem anderen Bataillon unterstellt werde“, kann man mit Sicherheit annehmen, dass es sich bei dem hier anwesenden um den in Kesteri zuständigen Bataillons-Kommandeur von Manns Regiment und nicht um den Kommandeur des Korps-MG-Bataillons 410 handelt.
- ↑ Elkupīte