26. Juni 1942

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English
GEO & MIL INFO
Siderowo Karte — map
Bogoroditschnoje Karte — map
Krasni Jar Karte — map
OKW-Lagekarte Juli 1942 Karte — map
26.06.: MG-Zug der 3./477 unterstellt
07.07.: Oberst Püchler zurück[1]
ab 07.07. evtl. III.Pz.K./Gr. von Mackensen? ab 07.07. Küstenstab Asow[2]
OB: GFM ListWP
Bogoroditschnoje
Studenok

Unsere Verbände entlang der ganzen Donezfront werden neu gruppiert, und im Zuge dieser Maßnahmen werden auch wir verlegt.[3] Siderowo gleicht einem Bienenhaus. Fahrzeuge werden beladen, dazwischen laufen Mengen von Soldaten. Bald stehen die Einheiten marschfertig auf der Straße. An den Gartenzäunen stehen Gruppen von russischen Mädchen und nehmen Abschied. Dann ein Kommando: „Spitze marsch!“. Die vordere Kompanie tritt an, die anderen fädeln sich aus den Seitenwegen ein, die Kolonne zieht sich wie ein Wurm in die Länge. Ein letztes Winken, ein Abschiedswort fliegt zu den Mädchen, und dann verlässt das Ende der Kolonne das Dorf.

Nach drei Stunden biegen wir in eine Mulde ein und sehen unser Ziel vor uns: Bogoroditschnoje. Ein Dorf wie alle anderen. Hier bleiben wir nicht lange. Unser Bataillon soll an den Fluss verlegt werden. Ein Vorkommando, zu dem auch ••• S. 96 •••ich gehöre, geht zur Einweisung voraus. Wir kommen nach Krasni Jar[4]. Es ist ein kleines, im Winkel gebautes Dörfchen, von dem aus die Donezniederung weithin zu übersehen ist, weil es auf der Höhe eines flachen Hanges liegt. Das Dörfchen ist verlassen. Rechts von dem Dorf fällt der Hang in eine schmale, steilwandige Schlucht[5] ab, die sich zum Doneztal hin öffnet. Auf der anderen Seite dieser steilwandigen Schlucht liegt eine dicht bewaldete Hochfläche, die mit einem Steilhang zum Doneztal abfällt.

Links von dem Dörfchen fällt der Hang flach und baumlos zur Talniederung ab, und am Fuß dieses Talhanges zieht sich ein Dorf entlang, dessen sämtliche Häuser restlos zerstört sind. Das Dorf besteht nur noch aus einer Kette von Schutthaufen, aus denen die schmalen Säulen der Kamine in die Luft ragen. Das Dorf heißt Studenok[6], und vor seiner Ruinenreihe laufen unsere Stellungen entlang. Von der Ruinenreihe (und unseren Stellungen) fällt das Gelände ganz sanft, fast eben zum Fluss hin ab. Es ist ein ca. hundert Meter breiter Wiesenstreifen. Der Donez selbst ist hier etwa dreißig bis vierzig Meter breit. Auf der Feindseite hat er eine flache, teilweise mit Buschwerk bewachsene Böschung. Dann geht das Gelände in eine kilometerweite, halboffene Parklandschaft über, die am Horizont von dichtem Wald begrenzt wird. Weit hinten in der Ferne erkennt man die Häuser eines typisch russischen Riesendorfes[7], das vom Feind besetzt ist. Von dort schickt er seine Späher bis vorn an den Fluss heran.

Links vom Dorf hat der Fluss eine Furt. Hier drängt sich eine unübersehbare Masse zertrümmerter sowjetischer Fahrzeuge strahlenförmig auf die Furt zusammen, in der deutlichen Absicht, hier den Fluss zu überqueren. In der Eile des fluchtartigen Rückzugs haben sich die Kolonnen hier gestaut, sind in zehnfacher Reihe nebeneinander aufgefahren, zum Teil ineinander gefahren, und haben sich gegenseitig den Weg versperrt und verstopft. Und in diese Knäuel von aufgestauten Lkw-Kolonnen haben deutsche Bomber hinein gehauen und es in einen riesigen Schrotthaufen verwandelt. Zwischen den Trümmern liegen noch Pferdekadaver und einzelne Leichen von Rotarmisten, die in der sommerlichen Hitze leichten Verwesungsgeruch verbreiten.

Unsere Grabenstellungen laufen zum Teil durch dieses Autotrümmerfeld hindurch und dann vor den Ruinen der Häuserzeile von Studenok entlang parallel zum Fluss. Man kann unsere Stellungen durch die Schlucht[8] hinter uns ungesehen erreichen und verlassen. Nur das letzte Stück vom Ausgang der Balka bis zum Schützengraben kann vom Gegner eingesehen werden.

Mein MG-Zug ist der 3. Kompanie unterstellt, und die einzelnen Gewehre sind auf den ganzen Grabenabschnitt dieser Kompanie verteilt. Ich selbst liege in einem Unterstand, der zwar geräumig, aber nur mit einer Bretterlage und einer dünnen Sandschicht abgedeckt ist. Gleich am nächsten Morgen unternehme ich einen Gang durch den Kompanieabschnitt, um meine vier MG-Stellungen zu inspizieren. Die Steinhaufen und Lehmbrocken der zerstörten Häuser geben mit ihrer gelblich-rötlichen Farbe einen guten Schutz für unseren Graben ab, dessen helle Sandaufwürfe dadurch kaum zu erkennen sind. Der Graben läuft ja dicht vor den Ruinen entlang und stellenweise auch mitten hindurch. Meist ist der brusttief. Ich kann also mit einiger Vorsicht auch bei Tage ungesehen hindurchgehen. Nur an einigen Stellen ist er bloß knietief, weil die zusammenstürzenden Häuser ihn verschüttet haben und die Landser ihn noch nicht wieder ausgeräumt haben.

Wir haben nur diese eine Linie, und selbst die kann angesichts des Mannschaftsmangels bei den Schützenkompanien nur schwach besetzt werden. Deshalb hat man sämtliche schweren Infanteriewaffen des Bataillons und einige leichte Pak-Geschütze vorn in den Graben gesteckt, obgleich das taktisch ••• S. 97 •••völlig falsch ist. So bin auch ich wieder, wie schon seit langem, mit meinen schweren MGs vorn im Schützengraben.

So liegen wir also wieder vor dem Feind. Vor unserem Graben fällt das freie Wiesengelände sanft zum Donezufer ab, und der Fluss, hier knapp vierzig Meter breit, schlängelt sich als kleines natürliches Hindernis dahin. Am jenseitigen Ufer stehen einzelne Baum- und Buschgruppen, aus denen nachts sowjetische Vorposten auf uns schießen. Es belästigt uns aber wenig.

Die heißen Tage vergehen in eintönigem Wachdienst. Tagsüber stellt jeder Zug nur einen Alarmposten, während die wachfreien Männer faulenzend in der Sonne liegen oder im Schatten des Unterstandes schlafen. Nachts werden die Posten bedeutend verstärkt. Dann ist der halbe Zug in Stellung.

Eines Tages kommt der Regimentskommandeur durch den Graben. In der Umgebung meines Unterstandes begleite ich ihn. Sein erster Blick fällt auf einen Posten, der, Gewehr bei Fuß, in Badehosen in seinem Postenstand steht. Oberstleutnant[9] Haarhaus stutzt, sagt aber nichts. Auf dem weiteren Weg treffen wir nur Posten in Sporthosen. Der Oberstleutnant muss den Eindruck haben, er sei in einem Strandbad. Aber der sonst so überaus korrekte Soldat hat bei dieser Hitze wohl Verständnis für unseren Anzug, denn er zeigt kein Missfallen. Nur am Schluss unseres Inspektionsganges befiehlt er mir in mildem Ton, dass die Männer wenigstens auf Wache in Uniform und umgeschnallt sein mögen.

Ich habe gehört, dass anderswo Einheiten sowjetische Angriffe abgewiesen hätten, wobei sie alle in Badehosen im Graben standen. Auch deutsche Jagdpiloten sollen in Badehosen Alarmeinsätze geflogen sein.

Da unsere Stellungen selten beschossen werden, vergehen die Tage in Beschaulichkeit und Langeweile. Außer den Sonnenbädern haben wir keine Abwechslung, aber auch die Sonnenbäder sind bei der sengenden Hitze kein Vergnügen mehr. Wenn der Wind dann noch ungünstig steht, weht uns der Kadavergeruch vom Autofriedhof her in die Nase. Jetzt ahnen wir auch, warum das Trinkwasser, das sich die Landser immer zusätzlich aus einem Brunnen zwischen den Wracks holen, so sonderbar schmeckt...

Die einzige Belästigung für uns ist das lächerliche Geballer der russischen Vorposten drüben vom andern Ufer. Es kommt immer von derselben Stelle, einer Baumgruppe. Eines Tages wird es unserem Kompaniechef zu dumm. Er setzt sich hinter eine sowjetische Beutepak, die noch zwischen den Ruinen des Dorfes steht. Da die Russen aber bei ihrer Flucht das Zielgerät mitgenommen haben, muss er durch das offene Rohr peilen, um das Ziel anzuvisieren. Der erste Schuss geht dann auch hoch in die Baumkronen. Der zweite Schuss sitzt dann besser. Der Chef legt die Richtung nun für die Nacht fest, aber der Iwan schießt nicht mehr.

Soeben hatten wir eine kleine Knallerei mit drei Ratas. Die Kette überflog unsere Stellungen in etwa achthundert Metern Höhe. Ich gab für meine beiden am nächsten stehenden MGs „Feuer frei“. Wie zwei Perlenschnüre schossen die Leuchtspurgeschosse senkrecht in die Höhe, denn die Maschinen flogen gerade über uns. Die Garbe eines meiner Gewehre liegt ausgezeichnet. Ich sehe die hellen Pünktchen rund um die Maschine vorbeifliegen. Aber das Flugzeug bleibt unversehrt. Jetzt hatten sie uns entdeckt, oder sie hatten uns schon gesehen und sind durch unseren Beschuss gereizt worden. Jedenfalls kurven sie ein und jagen uns im Steilangriff ihre Garben in den Graben und die Umgebung. Wir nehmen volle Deckung. Ein paar Mal noch dröhnen sie schießend über unseren Graben hinweg. Dann ziehen sie hoch und verschwinden. Getroffen haben sie nichts.

Russischer Feuerüberfall! oder Angriff? Wir wissen es noch nicht, erwidern aber sicherheitshalber das Feuer aus allen Rohren. Es ist ein toller Lärm. Während der Knallerei laufe ich von MG-Nest zu MG-Nest. Da komme ich an einem Landser vorbei, der zwei Feuerstellungen zugleich bedient. Erst jagt er aus einem russischen 8-cm-Werfer einige Granaten heraus, dann springt er zu seinem deutschen 5-cm-Werfer und stopft mit Feuereifer eine Granate nach der anderen hinein. Dann saust er wieder zu dem mittleren Werfer und ist überhaupt nicht aufzuhalten. Der kämpft nicht, der spielt!

Der Regimentsführer benutzt die relative Ruhe an der Front, um im Regimentsgefechtsstand Unterricht für die OA (Offizieranwärter) durchzuführen. Das ist für mich eine angenehme Abwechslung, weil man endlich einmal tagsüber aus dem engen Graben herauskommt. Heute findet der erste Kurs statt, und ich mache mich auf den Weg. Ich gehe im Graben bis an den Autofriedhof. Hier muss ich aus dem Graben heraus, über eine kahle Fläche bis an die Schlucht springen ••• S. 98 •••und kann nun im Schutz der Balka den Hang hinaufklettern, bis ich oben den dichten Wald erreiche. Es ist gut gegangen. Nur ein lächerlicher Gewehrschuss war mir nachgepfiffen und weitab in den Boden geklatscht. Ich gehe zum Bataillons-Bunker, der hier oben im Wald liegt. Hier stehen Pferde bereit, denn der Weg bis zum Regimentsgefechtsstand ist ca. fünfzehn Kilometer weit. Außer mir ist noch ein OA-Unteroffizier hier. Er ist evangelischer Theologiestudent, frisch, mit kleinen Blauaugen, strohblondem Haar und grundanständig. Wir sitzen auf und machen uns auf den mehrstündigen Weg. Plaudernd reiten wir durch den endlosen Wald, und wenn wir einmal schweigen, hören wir das dumpfe Stampfen der Pferdehufe auf den sandigen Waldweg. Nach stundenlangem Ritt erreichen wir den Waldrand. Von hier führt der Weg über eine weite, offene Weidefläche, auf der zwei abgeschossene sowjetische Panzer liegen. Wir setzen unsere Pferde in Trab und reiten in die weite, blühende Steppe hinaus. In einer Talmulde kommen wir an einem Brunnen vorbei, der wohl früher den weidenden Herden als Tränke gedient hat. Das Gelände ist hier in der Donezgegend sehr hügelig, fast bergig und bietet mit seinen Tälern und Höhen, Wäldern und offenen Flächen, Schluchten und Ebenen dem Auge mancherlei Abwechslung. Schließlich erreichen wir nach einem kurzen Galopp den Regimentsgefechtsstand. Diesen Weg machten wir in Zukunft mehrmals gemeinsam, und es war uns jedesmal eine Freude, zu Pferde durch diese Weiten der russischen Landschaft zu ziehen.


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Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

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Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

  1. KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000923
  2. KTB HGr A (TsAMO, im KTB „Heeresgruppe List“ genannt, m. 1. Pz.A., 11. u. 17. A., 257. I.D. am linken Flügel; Unterstellung wurde erst am 09.07. (also mit der Umbenennung) „dem Vernehmen nach“ bekannt (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000926))
  3. In der Nacht 16./17.06. marschierte das I.R. 477 nach Krasni Jar (KTB 257. I.D., NARA T-315 Roll 1804 Frame 000908/909); die 2. Komp. aus Siderowo folgte erst in der Nacht 26./27.06. (Frame 000916)
  4. Krasni Jar gibt es nicht mehr; es ist aber z. B. auf der Karte Osteuropa 1:300.000 Blatt Z 50 zu finden.
  5. Gossudareff Jar, gem. Karte Rußland 1:100000 Blatt M-37-XIII Ost
  6. Aufdeckung eines kartographischen Irrtums: Einige Karten (z. B. Rußland 1:100000, Blatt M-37-99 Isjum, Truppenausgabe, 2. Ausgabe I.43 oder Osteuropa 1:300.000 Blatt Z 50 Isjum, Ausgabe 3 1941, einzelne Nachträge VI.43) nennen den Ort westlich des Donez „Studenok“ (ein Irrtum aufgrund falsch interpretierter russischer Grundlage 1:50.000 M-37-99-D (FTP-Link); auch in der Karte Rußland 1:100.000 Blatt M-37-XIII Ost Kramatorskaja ist Studenok noch richtig, ostwärts des Donez, angegeben); der westliche Ort heißt eigentlich (Bolschaja) Jeromowka.
  7. das damalige Malaja Jeromowka und das eigentliche Studenok
  8. Balka Kamenka, gem. Karte Rußland 1:100.000 Blatt M-37-XIII Ost
  9. im Original irrtümlich „Oberst“