Sowjetunion und Genfer Konvention
In unzähligen Dokumenten wird wie im vorliegenden Tagebuch beklagt, dass sich die Sowjetunion nicht an die Genfer Konvention gehalten habe. Hie soll der Frage nachgegengen werden, ob und inwieweit sie überhaupt dazu verpflichtet war.
Was ist unter der „Genfer Konvention“ zu verstehen?
Die Genfer Konvention (1864–2005) und die Haager Landkriegsordnung (1899–1925) sind Gruppen von Abkommen, die sich teilweise ergänzen, teilweise auch überschneiden und sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt haben.
Im Jahr 1929 wurde mit dem Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen ein separates Abkommen zur Behandlung der Kriegsgefangenen verabschiedet, das 1949 überarbeitet und erweitert wurde. Trotz dieser neuen Konvention kam der Haager Landkriegsordnung während des Zweiten Weltkrieges eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Behandlung der Kriegsgefangenen zu. Mit der Sowjetunion und Japan waren zwei Hauptmächte des Krieges nicht der Genfer Kriegsgefangenen-Konvention von 1929 beigetreten, jedoch Vertragsparteien der Haager Landkriegsordnung.[1]
Haager Landkriegsordnung von 1907
Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs. Vom 18. Oktober 1907.
- Text der Haager Landkriegsordnung
- Text der Haager Landkriegsordnung mit unwesentl Vorbehalten
- Haager Landkriegsordnung - Vorbehalte Russlands, dort genannter Artikel (?) nicht zu finden
Es ist fraglich, ob die UdSSR überhaupt Rechtsnachfolger des Russischen Reiches war.[2]
Angeblich war jedoch die Haager Landkriegsordnung bereits vor der Zeit Stalins gekündigt worden.[3]
Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929
Die UdSSR ist kein Signatar der Genfer Konvention „über die Behandlung von Kriegsgefangenen“[4]
Der Erlass über die Kriegsgefangenen, der durch einen Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR vom 1. Juli 1941 bestätigt wurde, orientiert sich immerhin an den Normen des Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929, obwohl die UdSSR ihm fernblieb.[5]
Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1949
- Genfer Abkommen III vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen
- Genfer Konvention Kriegsgefangene
Die Verhandlungen über die Genfer Konvention 1949 könnten ein zusätzlicher Grund für die Entlassungen Ende des Jahres gewesen sein.
Die Haag-Genf-Frage aus sowjetischer Sicht
- Auszüge aus uformat.ru: Что было с пленными немцами после войны. Немецкий плен (Was geschah mit den gefangenen Deutschen nach dem Krieg? Deutsche Gefangenschaft)
- Übersetzung: DeepL
- Autor und Datum: ungenannt
Ein wenig über den völkerrechtlichen Status von Kriegsgefangenen. Eine der strittigen Fragen in der Geschichte der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland und der deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR ist die Frage der Verbindlichkeit bzw. Nichtverbindlichkeit der Haager Konvention „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“ vom 18. Oktober 1907 und der Genfer Konvention „über die Behandlung von Kriegsgefangenen“ vom 27. Juni 1929.
Problematisch wird es, wenn absichtlich oder aus Unwissenheit die bereits erwähnte Genfer Konvention „über die Behandlung von Kriegsgefangenen“ vom 27.06.1929 mit der Genfer Konvention – ebenfalls vom 27.06.1929 – „zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See“[6] verwechselt wird. Obwohl die UdSSR die erste der genannten Genfer Konventionen nicht unterzeichnete, trat sie 1931 der zweiten bei. Daher wird der Autor versuchen, Klarheit in diese Frage zu bringen.
Die Voraussetzungen für die Verbindlichkeit des Haager Übereinkommens „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges“ sind:
1) die Unterzeichnung und Ratifizierung durch die Vertragsparteien dieses Übereinkommens
2) Teilnahme an Landkriegen nur durch Parteien, die Vertragsparteien sind („clausula si omnes-Klausel“)
Voraussetzung für die Verbindlichkeit der Genfer Konvention von 1929 über die Inhaftierung von Kriegsgefangenen war lediglich die Unterzeichnung und Ratifizierung durch die Vertragsparteien dieser Konvention. Ihr Artikel 82 lautet: „Die Bestimmungen dieses Übereinkommens werden von den Hohen Vertragsparteien unter allen Umständen eingehalten. Sollte sich im Kriegsfall herausstellen, dass einer der kriegführenden Staaten nicht Vertragspartei des Übereinkommens ist, so bleiben dessen Bestimmungen dennoch für alle kriegführenden Staaten, die Unterzeichner des Übereinkommens sind, verbindlich.“
So enthalten die Artikel des Übereinkommens nicht nur keine clausula si omnes, sondern sie sehen ausdrücklich die Situation vor, in der die kriegführenden Mächte C1 und C2 Vertragsparteien des Übereinkommens sind und C3, das nicht Vertragspartei des Übereinkommens ist, dann in den Krieg eintritt. In einer solchen Situation besteht keine formale Möglichkeit mehr, dass die Mächte C1 und C2 das Übereinkommen untereinander nicht einhalten. Ob die Mächte C1 und C2 verpflichtet sind, das Übereinkommen gegenüber der Macht C3 einzuhalten, geht nicht unmittelbar aus Artikel 82 hervor.[7]
Die Ergebnisse dieses „Rechtsvakuums“ ließen nicht lange auf sich warten. Die anfängliche deutsche Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener und später die der UdSSR gegenüber Wehrmachts- und SS-Kriegsgefangenen sowie gegenüber den Streitkräften der alliierten Mächte konnte nicht einmal in erster Näherung als menschlich bezeichnet werden.
So genügte es den Deutschen anfangs, dass sie in Unterständen lebten und „Russenbrot“ aßen, das sie nach einem selbst erfundenen Rezept herstellten: zur Hälfte aus Zuckerrübenschalen, zur Hälfte aus Zellulosemehl, Blatt- oder Strohmehl. Es überrascht nicht, dass diese Bedingungen im Winter 1941–42 zu einem Massensterben unter den sowjetischen Kriegsgefangenen führten, das durch eine Typhusepidemie noch verschlimmert wurde.
Nach Angaben des Amtes für Kriegsgefangene des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) belief sich die Gesamtzahl der sowjetischen Kriegsgefangenen bis zum 1. Mai 1944 auf 3,291 Millionen, von denen 1,981 Millionen in den Lagern starben, 1,03 Millionen bei Fluchtversuchen erschossen wurden und 280.000 auf der Überführung ums Leben kamen (die meisten Opfer gab es zwischen Juni 1941 und Januar 1942 – damals starben über 2,4 Millionen Gefangene). Zum Vergleich: In den Jahren 1941–1945 nahmen die Deutschen insgesamt (es gibt verschiedene Angaben, aber hier ist die Zahl, die der Autor für die zuverlässigste hält) 6,206 Millionen sowjetische Kriegsgefangene gefangen.
Die Bedingungen der deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR waren zunächst ebenso schlecht. Allerdings gab es unter ihnen deutlich weniger Opfer. Aber nur aus einem Grund: Es gab weniger von ihnen. So waren bis zum 1. Mai 1943 292.630 Männer und Frauen der deutschen und alliierten Armeen in der Sowjetunion in Kriegsgefangenschaft geraten. Von ihnen waren zum gleichen Zeitpunkt 196.944 gestorben.
Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich darauf hinweisen, dass die sowjetische Regierung am 1. Juli 1941 das „Statut der Kriegsgefangenen“ verabschiedet hat. Den Kriegsgefangenen wurde eine ihrem Status entsprechende Behandlung, eine den sowjetischen Soldaten gleichgestellte medizinische Versorgung, die Möglichkeit, mit Angehörigen zu korrespondieren, und der Empfang von Paketen garantiert.
Sogar Geldtransfers waren formell erlaubt. Moskau, das die Kriegsgefangenenverordnung in großem Umfang für Propaganda gegen die Wehrmacht nutzte, hatte es jedoch nicht eilig, sie umzusetzen. Insbesondere weigerte sich die Sowjetunion, Kriegsgefangenenlisten über das Internationale Rote Kreuz auszutauschen, was eine Voraussetzung für die Gewährung von Hilfe aus dem Heimatland war. Im Dezember 1943 brach die Sowjetunion jeden Kontakt mit der Organisation ab. [...]
Die Behandlung von Kriegsgefangenen wurde bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durch die Genfer Konvention von 1929 geregelt, die Deutschland unterzeichnet hatte, die UdSSR jedoch nicht. Aber sie erfüllte – paradoxerweise – viel eher alle Genfer Bestimmungen! [...]
Obwohl Stalin die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen von 1864 nicht anerkannte, gab es in der UdSSR den Befehl, das Leben der deutschen Soldaten zu schonen. Es steht außer Frage, dass sie weitaus humaner behandelt wurden als die sowjetischen Personen, die nach Deutschland gebracht worden waren.
- ↑ Haager Landkriegsordnung
- ↑ Anja Schade: Kriegsgefangenschaft und_Genfer Konventionen damals und heute, in: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten: Entrechtung als Lebenserfahrung, S. 6, verweist auf Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945, Bonn 1991, S. 224
- ↑ Forum der Wehrmacht: Genfer Konventionen (ohne weitere Quellenangabe)
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung, Wikipedia, Signatare des Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen im Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde
- ↑ Andreas Hilger: Einführung zum „Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR Nr. 1798-800s zur Bestätigung des Erlasses über die Kriegsgefangenen, 1. Juli 1941“
- ↑ Ein Abkommen dieses Namens finde ich nur für 1949. Vom 27. Juli 1929 waren die Genfer Abkommen a) zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und b) über die Behandlung der Kriegsgefangenen. (Rechtsinformatonssystem des Bundes) Es findet sich auch der folgendr ähnliche Fehler: Die Sowjetunion hatte nur eine der Genfer Konventionen von 1929 ratifiziert, nämlich die zur Behandlung von verwundeten Kriegsgefangenen, nicht die zur allgemeinen Behandlung von Kriegsgefangenen. (unrecht-erinnern.info: Die Genfer Konventionen)
- ↑ Es wird aber allgemein so angenommen