21. Februar 1944
Ich kann nicht einschlafen. Mitternacht ist längst vorüber, und ich wälze mich ruhelos auf meiner Pritsche hin und her. Die Nervenanspannung der beiden letzten Tage und der Ärger über den Batailloner rumoren noch in meinem Innern. Tausend Gedanken irrlichtern durch mein Gehirn und verscheuchen den Schlaf. Und ich hätte ihn nach den Anstrengungen der letzten Tage so dringend nötig! Stunde um Stunde verrinnt. 3 Uhr morgens – 4 Uhr morgens.
Heute ist der 21.2.44.
Da rasselt das Telefon. Ich hebe den Hörer ans Ohr und höre die aufgeregte Stimme des Russenmüller: „Alarm! der Russe ist wieder an derselben Stelle in unseren Graben eingebrochen. Kompanie sofort fertigmachen. Sie melden sich bei mir!“ Im Abhängen höre ich noch, wie er die Infanterie-Geschütz-Kompanie anruft. Wahrscheinlich will er Sperrfeuer anfordern.
Die Müdigkeit ist wie weggeblasen. Da ich fast angekleidet schlafe, bin ich schnell fertig und laufe zum Bataillonsgefechtsstand. Der Bataillonsführer empfängt mich gleich mit der Lagemeldung: „Schrödter, der Russe sitzt schon wieder in unserem Graben, im selben Abschnitt wie vorgestern. Schmeißen Sie ihn raus!“ Und dann greift er schon wieder zum Fernsprecher, während ich den Gefechtsstand verlasse. Ich steige in den Mannschaftsbunker hinunter. Die Männer waren schon vom Bataillon alarmiert und sind fast fertig, zeigen aber keine besondere Eile. Einige schnallen noch um, einer ist noch beim Essen, ein anderer erledigt noch ein größeres Geschäft. So viel Gelassenheit bringt mich fast schon wieder in Harnisch. Es sind zwar nur einige, aber sie verzögern die Aktion. Überdies ist es dumm. Denn je heller es wird, umso schwieriger wird unsere ••• S. 188 •••Annäherung an den Gegner. Je später wir kommen, umso fester hat sich der Russe im Graben verschanzt und seine Stellung ausgebaut. Die Folgen solcher Langsamkeit müssen wir mit unserem Blut bezahlen. Aber so weit denken die Landser nicht. Ich treibe zur Eile und gebe noch Befehl, einen Kasten Handgranaten mitzunehmen. Dann setzen sich die ersten Gruppen in Marsch.
An dem großen Strohschober in unserer zweiten Linie oben am Rand des Hanges kommen mir die ersten Männer des Zuges entgegen, die der Russe nun schon zum zweiten Mal aus dem Graben geworfen hat. Allen voran der Feldwebel, der den Zug „führt“. Ich befehle ihm, sich dem Gegenstoß anzuschließen. Seine Männer machen zögernd kehrt, aber der Feldwebel macht Einwände. Ich erkenne sofort, dass dieser schlappe Haufen völlig demoralisiert ist. Der Feldwebel ist ein Feigling. Darum hat auch der Zug versagt, weil sein Führer nichts taugt. So lasse ich sie denn lieber zurückgehen und steige mit meinen Männern allein den Hang hinunter.
Der zweite Gegenstoß beginnt. Meine Uhr zeigt 6 Uhr. Es ist schon hell. Der Himmel ist klar. Die Luft ist kalt.[1] Die Sicht ist ausgezeichnet. Es ist die scheußlichste Angriffsposition, die man sich denken kann. Die Bolschewiken sitzen in den Bunkern und im Schutz des Grabens, während wir über eine völlig freie, verschneite Fläche angreifen müssen, die außer dem tiefen Schnee keinerlei Deckung bietet. Außerdem ist der Hang zum Gegner hin noch leicht geneigt, so dass er auch den letzten Mann deutlich auf der glatten, weißen Schneefläche sehen kann.
Da geht es auch schon los! Bruch-bruch-brach! Granatwerfer! Wir sind also erkannt. Kein Wunder, mit unserer grünbunten Tarnbekleidung heben wir uns bestens von der weißen Schneedecke ab. Schon beim ersten Einschlag lagen wir flach im Schnee. Jetzt ist eine kleine Pause entstanden. Sie korrigieren ihre Schießwerte. Ehe die nächste Salve kommt, müssen wir hier weg sein. Da ich vorn an der Spitze liege, drehe ich mich um und will den Männern einen Befehl zurufen. Da laufen doch wahrhaftig schon welche zurück! Ich donnere sie an, dass sie sich sofort hinwerfen und wieder zurückgekrochen kommen. Das sind die Kerle, die im Bruchteil einer Schrecksekunde eine Panik auslösen und alles mit zurückreißen. Rumm-wumm – eine neue Serie von Einschlägen. Zwischen den Einschlägen brülle ich: „Ran an den Graben, dann können uns die Werfer nicht fassen!“ Und dann: „Gruppenweise vorarbeiten! Sprung auf, marsch-marsch!“ Ich springe auf und laufe vorwärts. Ein paar beherzte Landser springen sofort mit. Gutes Beispiel wirkt besser als Erklärungen. Wir arbeiten uns sprungweise vor. Noch zweihundert Meter. Das Granatwerferfeuer hat aufgehört. Vom Graben her fallen nur vereinzelte Schüsse. Ich erkenne ihn auch noch gar nicht. Da das Vorarbeiten durch den tiefen Schnee sehr anstrengend ist, stehe ich einfach auf und gehe vorwärts. Es bleibt ruhig. Auch die Männer folgen mir nun aufrecht gehend. So nähern wir uns dem Graben, die Waffen schussbereit haltend.
„Vorsicht, Herr Leutnant, die Russen haben ein MG im Graben!“ Der Ruf kommt schräg von vorn. Da erkenne ich sie auch schon. Schräg links, fünfzig Meter entfernt, liegen drei deutsche Landser hinter einer kleinen, flachen Schneewehe. Drei Landser mit einem leichten Maschinengewehr (lMG). Sie haben bei dem überraschenden Angriff der Russen heute nacht den Graben nach rückwärts verlassen, sind aber gleich wieder hinter dieser kleinen Schneewelle in Stellung gegangen und haben die Sowjets von hier aus in Schach gehalten. So liegen sie seit drei Stunden hier im Schnee, fünfzig Meter vor dem besetzten Graben, die Mündung ihres MG auf die Einbruchstelle gerichtet, und schießen auf alles, was sich im Graben bewegt.
Mit ein paar Sprüngen bin ich bei ihnen und werfe mich neben sie in den ••• S. 189 •••Schnee. Von hier kann ich das besetzte Grabenstück ziemlich gut übersehen. Ich erkenne auch das russische schwere Maschinengewehr. Es steht genau an der Stelle, an der ich auf den Graben gestoßen bin. Um das MG herum liegt ein Wall von Toten. Ich zähle zwölf Leichen. Das war die Arbeit der drei mutigen Männer! Dieses MG war die stärkste Waffe, die die Russen im Augenblick zur Verfügung hatten. Wenn sie es zum Einsatz bringen könnten, hätte ich einen verdammt schweren Stand. Deshalb versuchen die Iwans immer wieder unter Lebensgefahr, es in Stellung zu bringen. Aber sobald ein Rotarmist versuchte, an das MG heranzukommen, jagten die drei ihre Garben dazwischen. Es war ein erbitterter Kampf. Drei Männer legen eine zwanzigfache Übermacht lahm, weil sie Mut haben!
Mein Plan ist schon fertig. Zuerst muss das MG genommen werden. Ein paar kurze Befehle: „1. Zug greift den ersten Bunker rechts an! MG Möller schirmt gegen den zweiten Bunker rechts ab! Kompanietrupp zu mir, wir nehmen das MG! Fertig – Angreifen!“ Ich krieche mit meinem Kompanietrupp in einem kurzen Bogen seitlich auf das MG zu. Die drei Männer mit dem lMG geben mir Feuerschutz. Ratternde Feuerstöße klatschen zwischen tote und lebendige Russen an ihrem MG/08[2]. Gewehrschüsse peitschen uns entgegen. Wir erwidern das Feuer, abwechselnd kriechend und schießend. Die Roten lassen von dem MG ab und ziehen sich in den Bunker zurück, von wo aus sie sich erbittert zur Wehr setzen. Ein Sprung – ich bin an dem russischen MG. Das erste Beutestück. Die Iwans haben nun ihre stärkste und gefährlichste Waffe verloren. Ein schwerverwundeter Iwan versucht, zu den russischen Stellungen zurückzukriechen. Ich lasse ihn gewähren. Er kommt vor Schwäche kaum vorwärts und wird es sowieso nicht schaffen.
Ich krieche nun mit meinen Männern zwischen den erdbraunen Leichen hindurch auf den ersten Bunker zu. Mein 1. Zug ist ja schon im Begriff, ihn frontal anzugreifen, und ich kann ihn nun, da ich schon im Graben bin, auch noch von der Seite angreifen. Der Graben ist zwar zugeschneit, aber infolge des eingesackten Schnees markiert er sich als schmale, langgestreckte Rinne. Wir haben den Bunker jetzt in die Zange genommen, denn wir liegen fast im Halbkreis um ihn herum. Neben mir liegt mein treuer Melder, schräg vor mir zwei Mann mit einem lMG, hinter mir einige andere und der Sani. Flach in den Schnee gedrückt, die weitgeöffneten Augen aufmerksam auf den Bunker gerichtet, die Waffen schussbereit haltend, pirschen wir uns heran, näher und näher.
Die Roten haben kaum noch Bewegungsfreiheit. Sie sind auf den Bunker zusammengedrängt und auf das kleine Grabenstück daneben, das für den Posten schneefrei gehalten wird. Sobald ein Iwan den Kopf über den Grabenrand erhebt, peitschen ein paar Schüsse von uns herüber. Die Russen wehren sich und schleudern aus der Deckung Handgranaten gegen uns. Schießen können sie nicht mehr, denn ehe sie ihr Gewehr in Anschlag bringen können, prasseln ihnen unsere Kugeln um die Ohren.
Da ruft mich die MG-Bedienung an, die schräg rechts vor mir liegt. Ich blicke hinüber. Der Schütze 2[3] hebt seinen Arm. Er ist blutrot und hat eine seltsame Form. Knochen zerschossen. Der erste Verwundete. Ich schicke ihn durch eine Handbewegung nach hinten, und er kriecht zurück. Hinter mir liegt ja der Sani. Ich drehe mich um und sehe ihn schon. Er hebt seine Nase über eine Schneewehe und lugt wie ein Hase über die Deckung.
Der Schuss kam drüben von dem zweiten Bunker. Der ist ja auch voller Iwans, die ihren bedrängten Kameraden Feuerunterstützung geben. Ich warne daher durch Zuruf: „Achtung vor dem zweiten Bunker rechts!“ Gleichzeitig treibe ich zur Eile: „Ran an den ersten Bunker – Hurraaah!“ Wir springen geschlossen auf den Bunker zu. Die Russen antworten mit einer Serie von Handgranaten, die sie uns entgegenschleudern. Mit einem dumpfen, erstickten Ton explodieren sie in der tiefen Schneedecke. Wieder stürzt einer meiner Männer verwundet in den Schnee.
Die Salve hat uns wieder auf den Boden gezwungen. Immerhin sind wir jetzt auf dreißig Meter heran. Einbruchsentfernung.
Bevor ich zur letzten Phase, dem Einbruch in den Graben, fertig machen kann, zieht mein Melder neben mir noch eine Handgranate ab und wirft sie hinüber. Sie fliegt im Bogen auf den Graben zu und will in den Postenstand fallen. In demselben Augenblick aber hebt gerade ein Iwan plötzlich den Kopf, um schnell einen kurzen Blick über den Grabenrand zu werfen. Da knallt ihm die Handgranate genau auf den Stahlhelm, prallt ab und springt in kurzem Bogen weiter auf den hinteren Grabenrand , wo sie donnernd zerkracht. Der Iwan war blitzschnell verschwunden. Aber die Situation war von so origineller ••• S. 190 •••Komik, dass wir später darüber schallend gelacht haben.
Mein Melder ist nicht zu bremsen. Er zieht noch eine Handgranate ab, springt auf und wirft sie im Laufen zum Iwan hinüber. Ich rufe ihn zurück. Der ist imstande und springt allein in den Graben.
„Fertigmachen zum Einbruch!“ Alte Hasen wissen, was sie jetzt zu tun haben: Handgranate bereitlegen, auf Kommando gleichzeitig werfen und im Augenblick der Detonation bei „Sprung auf-marsch-marsch!“ die letzten zwanzig bis dreißig Meter im Laufschritt, aus allen Waffen schießend, auf den Graben bzw. die feindliche Stellung zustürmen. (Die Methode kann aber je nach Lage wechseln.) Ich hebe meine MPi, um nochmal auf den Bunker zu feuern. Da versagt sie. Beim Robben durch den tiefen Schnee ist sie in den Schnee geraten und streikt.
Immer das alte Lied mit unseren Waffen. Dem russischen Winter sind sie nicht gewachsen. Vor allem diese MPi taugt nichts. Im Sommer geht sie zu leicht los und im Winter bei großer Kälte versagt sie. Die russische MPi schießt bei jedem Wetter! Ähnlich ist es mit unserem MG 42. Eine hervorragende Waffe mit hoher Schussfolge und entsprechend vernichtender Wirkung – wenn sie schießt! Aber bei den eisigen Temperaturen tut sie das oft nicht!
Während mir dieser Gedanke blitzartig durch den Kopf geht, und ich meine Maschinenpistole vor Wut am liebsten weggeschmissen hätte, da heben sich plötzlich drüben im Graben zwei Hände. Sie ergeben sich! Wir stellen das Feuer ein, ich rufe die Russen an, und dann kommen sie heraus. 2 – 4 – 6 – 8 Mann. Ich hebe, auf dem Bauch liegend, vor Freude den Arm und rufe: „Hurra, wir haben gewonnen!“ Der vorderste Rotarmist kommt auf mich zu. Er beugt sich zu mir nieder, streckt mir beide Hände entgegen und sagt: „Sspassiba, pan, sspassiba!“[4] Er ist glücklich, dass er am Leben bleibt. Nun wollen sie auch gleich nach hinten, von der Front weg, und fragen mich wiederholt: „Nasad, pan?“[5] Aber ich gebe dem Sani Befehl, sie zunächst in die Grube hinter dem abgeschossenen Tigerpanzer zu bringen und dort zu warten, bis wir auch die übrigen Bunker ausgeräumt haben. Er kann ja inzwischen die Verwundeten versorgen.
Nun ran an den zweiten Bunker! Wir robben uns an den Unterstand heran. Um ihn besser sehen zu können, erhebt sich einer meiner Männer und stellt sich aufrecht auf den Hügel des eben eroberten Bunkers. Ehe ich ihn anrufen kann, kracht ein Schuss, und der Soldat bricht lautlos zusammen. So ein Leichtsinn! Wie kann man sich da oben in voller Größe als Zielscheibe hinstellen, wenn der Gegner in sechzig Metern Entfernung auf der Lauer liegt und um sein Leben kämpft! Es ist ein Jammer, denn auch dieser Mann war einer der besten und anständigsten Soldaten meiner Kompanie. Und die werden sowieso immer seltener.
Der Sani ist schon neben mir. „Herr Leutnant, geben Sie mir Feuerschutz, ich hole ihn zurück!“ Ich will mich aber nicht in Einzelaktionen zersplittern, zumal der Mann wahrscheinlich tot ist. Deshalb sage ich: „Nein, wir müssen alle vorwärts, dann kommt er ohnehin hinter uns zu liegen. Dann können Sie sich um ihn kümmern!“
Dritte Verwundung
Ich feuere die Männer nochmals an: „Vorwärts, ran an den zweiten Bunker!“ Wir schieben uns durch den Schnee näher heran. Dabei müssen wir uns flach in den Schnee drücken, denn der Iwan schießt auf alles, was sich bewegt. Wieder ein Verwundeter! Wir müssen schneller voran. Am besten in einem Anlauf ran, aus allen Knopflöchern feuern und drauf! Ich schätze die Entfernung. Es ist nicht mehr weit. Also: „Auf-marsch-marsch!“ Mit ein paar schnellen Sätzen springe ich vorwärts. Da fühle ich plötzlich einen stechenden Schmerz im rechten Fuß, knicke um und sinke in den Schnee. Ich meine sogar, ich hätte es knacken gehört. Aber es war doch kein Schuss gefallen!? Der Fuß schmerzt. Ich will mich aufrichten, sinke aber wieder zurück. Fuß gebrochen oder verwundet? Ich weiß es nicht. Ist jetzt auch egal. Ich krieche nun auf allen Vieren auf den Bunker zu. Rechts fällt ein Mann, schwer getroffen. Das sieht man schon an der Art, wie er fällt und liegen bleibt. Man bekommt einen Blick dafür. Mein Fuß schmerzt rasend, aber der Kampf nimmt alle meine Sinne und Gedanken in Anspruch. Ich registriere nur im Unterbewusstsein, dass ich mich vor Schmerzen immer von einer Seite auf die andere wälze, während ich den Kampf leite. Jetzt kann ich vor Schmerzen auch nicht mehr weiterkriechen und bleibe liegen. Inzwischen sind wir so nahe an den Bunker herangekommen, dass wir ihn stürmen können. Ich kommandiere: „Handgranaten fertigmachen zum Einbruch!“ ••• S. 191 •••Aber die Handgranaten sind alle! So eine Schweinerei! Das hat mir noch gefehlt! Aber da kommt mir zum Glück blitzartig ein Gedanke. Ich verfalle auf eine List. Beim ersten Bunker hatten wir unser etappenweises Vorpreschen immer mit Hurra-Rufen begleitet, und die Russen hatten sofort mit einer Salve von Handgranaten geantwortet. Versuchen wir es hier einmal auf eine etwas andere Weise. Einmal muss ihr Vorrat ja erschöpft sein, und dann haben wir leichtes Spiel. Auf mein Kommando brüllen wir also alle „Hurra!“, bleiben aber ruhig am Boden liegen. Prompt antworten die Russen mit einer Serie von Würfen. Es sind dicke, übergroße Handgranaten dabei. Jedesmal, wenn wir jetzt brüllen, fliegt eine Kaskade von Handgranaten aus dem Unterstand auf uns zu, verpufft aber immer wirkungslos im Schnee. Die Sowjets wagen nicht mehr, den Kopf über die Deckung zu erheben, weil sie von unserem Gewehrfeuer niedergehalten werden. Sie werfen ihre Granaten auf gut Glück in unsere Richtung, ohne jemand zu treffen.
Dann gehen wir ran an den Bunker. Der erste Landser steht dicht davor, als noch einmal eine Handgranate auf ihn zu fliegt. Der Deutsche aber dreht, aufrecht stehend, nur den Oberkörper zur Seite, bis die Handgranate explodiert ist, und geht dann auf den Bunker los. Wir knallen noch ein paar Feuerstöße auf den Unterstand, die Iwans werfen noch einige Handgranaten, aber dann ist ihr Widerstand gebrochen. Mit erhobenen Händen kommen drei Iwans heraus. Natürlich sind das nicht alle. „Skolko ischtscho tam?“[6], radebreche ich. Sie antworten, dass noch einige unten seien, die sich nicht herauswagten. Ich befehle einem Iwan, sie herauszurufen. Wir täten ihnen nichts. Der Russe wendet sich zum Bunker und ruft: „Sowjetski kamerati, iditje ssuda. Niemietski soldati nie streljajut!“[7] Nach einigem Zögern kommen dann noch die letzten drei Iwans herausgekrochen.
Ich schicke sie ebenfalls zu dem Loch hinter dem Panzerwrack. Diese Grube sollte wohl mal ein Unterstand werden. Dort haben sich inzwischen vierzehn Gefangene gesammelt. Ich kommandiere einen Landser ab, der die Gefangenen zum Bataillon hinaufbringen soll. Während diese Gruppe langsam den Hang hinaufsteigt, wende ich mich dem nächsten Bunker zu.
Drei Bunker sind noch zu nehmen. Mein Fuß schmerzt jetzt nicht mehr so sehr. Wie ein Hund krieche ich auf allen vieren durch den Schnee. Meine MPi ist hoffnungslos vereist. Ich will nun den dritten und vierten Bunker gleichzeitig angreifen. Mit Hurra eröffnen wir den Sturm. Unsere Gewehrkugeln schlagen in die Deckung und in das Holz des Unterstandes. Russische Handgranaten explodieren mit dumpfem Knall. Wenn die Roten den Kopf zu heben wagen, prasseln ihnen unsere Kugeln um die Ohren. Da sie nichts mehr sehen, ist ihr Widerstand ziellos und schwach. Wir gehen einfach auf die Bunker los, und wenn die Iwans Handgranaten werfen, drehen sich die Landser einfach nur zur Seite, um die Splitter nicht in den Bauch zu kriegen. Einer meiner Männer wird aber doch noch verwundet. Dann muss sich auch diese Bunkerbesatzung ergeben. Wieder kommen sechs Russen mit erhobenen Händen heraus.
Im vierten Bunker rührt sich nichts. Ob sie uns täuschen wollen? Da meldet sich Grenadier Schlodder: „Herr Leutnant, den nehme ich allein!“ Er kriecht von der Seite her an den Bunker heran bis auf die Decke, zieht eine Handgranate ab und lässt sie in den Bunkerschornstein fallen. Dann springt er an den Eingang. Drinnen explodiert die Handgranate mit gedämpftem Krachen, und in demselben Augenblick stößt der Grenadier die Bunkertür auf und springt hinein. Der Bunker ist leer. Die Iwans waren unbemerkt geflüchtet.
Ich sage Schlodder ein paar Worte der Anerkennung. Er ist der Typ eines schnodderigen Berliners. Ein richtiger Rabauke, aber für solche Unternehmen genau der richtige Mann. „Herr Leutnant, Sie denken woll, ick bin Unteroffizier? Nee, nee, hier, ick bin einfacher Landser!“ Mit diesen Worten zieht er seine Wintertarnjacke von der Schulter und zeigt mir seine einfache Schulterklappe. Es soll wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, aber ich nehme mir vor, ihn zu einer Auszeichnung einzureichen.
Auch der fünfte Bunker ist leer. Schlodder wollte hier sein Bravourstück nicht wiederholen. Ist auch besser. Man soll das Schicksal nicht herausfordern. Außerdem ist es schade um die Bunkeröfen, die dabei natürlich kaputt gehen, und die wir ja noch brauchen.
Der Gegenstoß ist beendet. Ich krieche, immer noch auf allen vieren, zum Tigerwrack zurück, lasse mich in die Grube gleiten und sitze nun vor den Gefangenen. Auch meine Männer sammeln sich hier. Die Iwans hocken in ihren dicken, braunen Wintermänteln vor mir und sehen mich erwartungsvoll an. ••• S. 192 •••Nur einer fragt mich nochmals etwas unsicher: „Nasad, Pan?“ Als ich ihm bestätige: „ Da, da, tschaß nasad!“[8], geht eine Welle der Erleichterung durch den Haufen. Sie werden munter, und die ersten schicken sich an, aus der Grube zu klettern. Aber ich rufe sie zurück. Ich will erst noch einiges von ihnen hören.
Es sind Strafnikis, Angehörige eines Strafbataillons. Sie hatten vorgestern auch schon hier angegriffen. Sie waren 120 Mann und hatten 40 Mann verloren. Heute früh mussten sie mit den restlichen 80 Mann den Angriff wiederholen. Auch dieser Angriff kostete sie wieder fast 20 Tote und 21 Gefangene. Und nun hocken sie hier und sind froh, dass sie das Leben haben. Aber so ganz geheuer ist es ihnen hier vorn nicht. Ich spüre, wie es sie „nach hinten“ zieht.
Ein Russe sitzt völlig apathisch auf dem Grubenrand. Sein Unterschenkel ist von einer Kugel zerschmettert und blutüberströmt. Er hat Durst und bittet mich um Wasser. Aber ich habe nichts zu trinken. Jetzt erkenne ich ihn. Es ist derselbe, der vorhin zurückzukriechen versuchte. Er hat es als aussichtslos aufgegeben und ist zurückgekommen. Nun sitzt er still und zusammengesunken da. Einige Minuten sind vergangen, als der Schwerverwundete plötzlich laut aufjammert. Seine verkrampfte Hand beginnt, wie in einem epileptischen Anfall, schnelle Kreise vor seinem Gesicht zu beschreiben. Dabei stößt er auf- und abschwellende unartikulierte Laute aus. ... uahuähuähuahuahuaaahhoooo ... Delirium. Immer matter wird die Stimme. Dann sinkt der Oberkörper langsam nach hinten und fällt leblos zurück. Seine Kameraden blicken betroffen und erschüttert auf dieses Sterben. Wir konnten ihm nicht mehr helfen.
Ich schicke die letzten sechs Gefangenen mit dem Sanitäter und zwei Mann zurück. Unter den Gefangenen sind noch einige Schwerverwundete. Mit dem eben Verstorbenen habe ich also 21 Gefangene gemacht.
Ich lasse nun die eroberten Bunker wieder besetzen. Die Meldung über den erfolgreich beendeten Gegenstoß habe ich dem Sani mitgegeben: Feindverluste: 20 Tote, 21 Gefangene. Beute: 1 sMG, 25 Gewehre. Eigene Verluste: 2 Tote, 4 Verwundete.[9]
Die beiden Gegenstöße haben mich 4 Tote und 8 Verwundete gekostet. Das ist trotz des Erfolges teuer bezahlt.
Endlich ist wieder Ruhe. Ich habe mich auf das Strohlager eines Bunkers gelegt, um meinen Fuß zu schonen. Er schmerzt nicht mehr so sehr. Vielleicht ist er nur verstaucht. Ich erhebe mich und trete vorsichtig auf. Es geht. Ich mache ein paar Schritte. Keine großen Schmerzen. Da klettere ich wieder hinaus, beobachte das Feindgelände, lasse die Beutewaffen zusammentragen und lege mich dann wieder aufs Stroh. Der Fuß ist doch nicht in Ordnung.
Es ist Mittag. Aber das hat nichts zu bedeuten. Essen gibt es erst abends. Während ich auf dem Stroh liege, gehen mir tausenderlei Gedanken durch den Kopf.
In unserem Abschnitt hier finden keine großen kriegerischen Aktionen statt. Es ist ein typischer Stellungskrieg, ein erbitterter Kleinkrieg. Ein Kampf gegen durchgesickerte Spähtrupps, eingebrochene Stoßtrupps, ein ohnmächtiger Kampf gegen unsichtbare Scharfschützen. Es sind Einbrüche und Gegenstöße und alles das, was der Wehrmachtsbericht „Späh- und Stoßtrupptätigkeit“ nennt. Die Verluste, im einzelnen gesehen, sind nicht hoch. Heute ein Verwundeter, morgen nichts, übermorgen ein Toter. Aber im Laufe der Zeit haben sich diese Ausfälle zu empfindlichen Verlusten summiert. Ersatz bekommen wir kaum noch.
Einmal hat der Russe eines seiner Husarenstücke vollbracht. In einer stürmischen Nacht hat er, von unseren Posten unbemerkt, ein Infanteriegeschütz dreißig Meter vor unserem Graben in Stellung gebracht. Im Morgengrauen hat dann sowjetische Infanterie angegriffen. Dabei hat dieses Geschütz aus nächster Nähe derart in unseren Graben gefunkt, dass die Landser sofort die Flucht ergriffen haben. Der Überfall war ein voller Erfolg für den Iwan.
Aber etwas ist mir wiederholt aufgefallen: Dass die Russen nach dem ersten Erfolg plötzlich zögern. Auch diesmal war es wieder so. Sie hatten unseren Graben in dreihundert Meter Breite besetzt, und dann haben sie gewartet, bis wir sie wieder hinausgefeuert haben. Warum sind sie nicht durchgestossen!? Der Russe ist ein Einzelkämpfer von beneidenswerter Härte, Ausdauer und Geschicklichkeit. Aber er hat keine Eigeninitiative und kann keine selbständigen Entscheidungen treffen. Das hat er nicht gelernt. Und der unteren ••• S. 193 •••und mittleren Führung fehlt die taktische Schulung und Erfahrung.
Noch etwas ist bemerkenswert. Die Russen greifen oft trotz Misserfolgs und hoher Verluste immer wieder an derselben Stelle an. Den Grund erfuhr ich später: Er liegt in der Befehlsstruktur. Ein sowjetischer Kommandeur, der einen Kampfauftrag erhält, ist für die Durchführung und den Erfolg persönlich verantwortlich. Deshalb greift er trotz wiederholten Scheiterns immer und immer wieder an. Menschenverluste spielen dabei keine Rolle. Das schier unerschöpfliche Menschenreservoir, die militärische und psychologische Ausbildung und die Mentalität des Russen machen solches Vorgehen möglich. Das fehlende taktische Können wird durch Masseneinsatz ersetzt.
Ein Landser, der in der ersten Nacht des Einbruchs der Strafnikis Posten stand, erzählt, dass die Russen bei heftigstem Schneetreiben in langer Reihe, die Arme gegenseitig untergehakt, lautlos angelaufen kamen. Er habe sie erst bemerkt, als sie schon fast den Graben erreicht hatten.
Es ist Abend geworden. Dunkelheit hat sich über die Stellungen gelegt. Die Verpflegungsschlitten sind angekommen und halten hundert Meter vor meinem Bunker. Als ich zu den Schlitten hinübergehen will, fährt mir plötzlich ein stechender Schmerz durch den Fuß. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und schleppe mich dann zum Unterstand zurück. Hier bleibe ich, bis die Verpflegungsausgabe beendet ist. Dann lasse ich die beiden toten Kameraden auf den ersten Schlitten legen, während der zweite mit den Beutewaffen beladen wird. Nun muss ich selbst noch aufsteigen, denn ich muss zum Arzt. Von zwei Männern gestützt, schlurfe ich zum Schlitten und schiebe mich auf den Sitz. Dann ziehen die Pferde an. Sie ziehen den Hang hinauf, fallen oben auf der Ebene in Trab und halten kurze Zeit später vor dem Sanitätsbunker des Bataillons. Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Der Arzt kommt heraus und geht zu den Toten, während ich in den Unterstand hinunterrutsche. Die Zeit bis zur Rückkehr des Arztes benutze ich, um den Bataillonsführer anzurufen und ihm noch Einzelheiten über den Gegenstoß mitzuteilen. Dabei höre ich, dass nur 19 Gefangene beim Bataillon angekommen sind. Einer der Verwundeten ist auf dem Weg dorthin seinen schweren Verletzungen erlegen. So sieht also die Bilanz meines zweiten Gegenstoßes folgendermaßen aus: Feindverluste 22 Tote und 19 Gefangene. Eigene Verluste: 2 Tote und 4 Verwundete.
Der Arzt ist wieder hereingekommen. Er ist schon seit 1941 beim Bataillon und ein guter Freund von Max Müller. Ich schildere ihm den Hergang der Verletzung, während ich den Filzstiefel vorsichtig und mit einiger Mühe ausziehe. Es geht schwer, denn der Fuß schmerzt und ist geschwollen: Der Arzt befühlt die Schwellung, die um das Sprunggelenk und etwas darüber liegt. „Ja“, sagt er dann, „es scheint eine Verstauchung zu sein. Gehen Sie mal drei Tage zur Schonung zum Tross. Lassen Sie sich aber sicherheitshalber im Lazarett noch einmal untersuchen.“ Ich ziehe den Filzstiefel mühsam wieder an, verabschiede mich vom Arzt und lasse mich hinausführen.
Draußen wartet schon der Verpflegungsschlitten. Ich steige auf und setze mich neben den Fahrer. Die Pferde ziehen an, und mit leisem Zischen gleitet der Schlitten in die Winternacht hinaus. Trappelnd klopfen die Pferdehufe den Boden, und der Schlitten rauscht leise durch den Schnee. Ich drehe mich um.
Hinter mir auf dem Schlitten liegen die beiden toten Kameraden, stumm und steif. Ihre bleichen Gesichter heben sich als helle Flecken von der dunklen Zeltbahn ab. Arme Kameraden! Du dort vor allem, Du brauchtest nicht hier zu liegen, wenn Du nicht so sträflich leichtsinnig gewesen wärst. Was soll ich nun Deiner Mutter schreiben? Aber eigentlich ist es töricht, Dich zu schelten. Unser aller Leben liegt in Gottes Hand. Er hat es wohl für richtig befunden, Dich jetzt abzuberufen, und dann hätte Dir auch alle Vorsicht nichts genützt. Du warst ein braver Soldat und ein guter Kerl.
Ich bin im Quartier des Spieß. Es ist ein sauberes Haus, das er mit dem Kammer- und dem Küchenunteroffizier bewohnt. Wir beschließen, dass ich morgen mit einem HF1, der sowieso in die Stadt muss, mitfahre. Er soll mich dann beim Lazarett absetzen. Dann gehe ich ins Bett, in ein richtiges, weißbezogenes Bett. Vorsichtig lagere ich meinen Fuß, und dann bin ich auch schon eingeschlafen.
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen |
- ↑ –8°C (KTB 6. A. NARA T-312 Roll 1493 Frame 000314)
- ↑ wahrscheinlich ein dem deutschen MG 08 ähnliches russisches PM 1910
- ↑ Die zu einem MG gehörenden Mannschaften hatten bestimmte Aufgaben, die durch Nummern bezeichnet wurden. Schütze 1 war der Richtschütze, der mit dem MG schoss, Schütze 2 der Ladeschütze, der die Funktion des Munitionsgurtes überwachte; die Schützen 3–5 waren die Munitionsschützen, die die leeren Munitionkästen wegbrachten und neue heranholten. Ein Gewehrführer (im Frieden ein Unteroffizier) überwachte das ganze.
- ↑ спасибо, пан, спасибо! (ukrainisch) Danke, Herr, danke!
- ↑ назад, пан? Nach hinten, Herr?
- ↑ сколько ищо (eigentlich еще) там? Wie viele sind noch da?
- ↑ Советские камеради, идите сюда, немецкие солдаты не стреляют! Sowjetische Kameraden, kommt her, die deutschen Soldaten schießen nicht!
- ↑ да, да, час (сразу) назад! Ja, ja, in einer Stunde (sicher meinte er: sofort) zurück!
- ↑ 9,0 9,1 Funkspruch LVII.Pz.Korps an A.O.K.6, 20.49 Uhr (KTB AOK 6, NARA T-312 Roll 1492 Frame 001247): „257.Inf.Div. Angriff südl. Nedaiwoda abgewehrt.“