5. Oktober 1940

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Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang

Chronik 40–45

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente

Chronik 45–49

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft

Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen

English

Der Zug rattert durch die Nacht. Er ist mit Soldaten voll besetzt. Wir haben in einem Güterwagen Platz gefunden. Ich sitze auf meinem Gepäck, den Kopf in die Hand gestützt, und blicke durch die of¬fene Schiebetür in die dunkle Nacht hinaus. Durch die Fenster der erleuchteten Personenwagen dringt das Licht nur wenige Meter in die Dunkelheit hinaus, und in dem fahlen Dämmer sehe ich das braune Land schräg unter mir wie Striche vorbei¬sausen. Dahinter aber ist Finsternis. Heimtückisch und ge¬fahrvoll erscheint mir diese Landschaft. Wir fahren durch Feindesland! Morgens kommen wir in Kor¬czyna an und melden uns beim Bataillonskommandeur Major Haarhaus[1]. Wir sind jetzt noch zwei: Feldwebel Franz Bachem und ich. Ganz korrekt nebeneinander stehend, im Dienstanzug mit Stahl¬helm und Handschuhen, warten wir im Vestibül des kleinen Schlosses auf das Erscheinen des Kom¬mandeurs. Dann steht er vor uns, schlank und vornehm, mit schmalem Gesicht und schmalen Lippen. Eine soldatische Erscheinung, unnahbar und ein wenig zu kalt. „Schildern Sie Ihren militärischen Werdegang!“ Wir schnarren unsere Litanei herunter, zuerst Franz Bachem glatt und wortgewandt, dann ich etwas stockend. Der Major stellt noch einige kurze Fragen, und schon sind wir wieder ent¬las¬sen.

Wir sind zur 4. Kompanie des Infanterie-Regiments 477 versetzt, die in Kombornia liegt. Ein Fahr¬zeug dieser Kompanie wird heute erwartet und soll uns abends mitnehmen. Wir haben also noch Zeit und schlendern durch den kleinen Ort. Am Ortsrand begegnen wir einem bescheidenen polnischen Begräb¬niszug, den wir grüßend vorbei lassen. Dann folgen wir einem Feldweg, der sich den Hang hinaufzieht und legen uns oben ins Gras.

Nach der durchfahrenen Nacht seit 30 Stunden ohne Schlaf, bin ich müde und unlustig. Unsere Truppen haben nun mehrere europäische Länder besetzt. Überall hin wäre ich gern gegangen, nur nicht nach Galizien, das sich in unserer Vorstel¬lung immer mit Juden, Schmutz und Zivilisati¬ons¬mangel verbindet. Und nun muss ich ausge¬rechnet hier unten landen! Fern von allem, wo¬ran ich hänge. Allein in einer Umgebung, die mir innerlich widerstrebt. Ich spüre, dass ich eine sesshafte Natur bin, mit ausgeprägtem Behar¬rungsvermögen. Und so sehe ich in Franz Ba¬chem das letzte Stück Heimat. Der aber hat sich mit rheinischer Unbe¬schwertheit längst in die neue Umwelt eingelebt. Zudem war dem Major das Haus Bachem nicht ganz unbekannt, und so hatte er wenigstens unterschwellig eine gewisse hei¬matliche Beziehung ge¬funden. Ich habe ein bisschen Katzenjammer.

Es ist Abend geworden, und das Fahrzeug ist da. Natürlich ein Pferdefuhrwerk, wie es sich für eine bespannte Einheit gehört. Wir steigen auf, und die letzte Etappe unserer langen Reise beginnt. Die Pferde gehen langsam, und der Weg ist weit. Es ist längst dunkel geworden, und über uns wölbt sich ein wunderbar sternklarer Nachthimmel. Schon zwei Stunden zuckeln wir durch die Finsternis. Selten spricht jemand ein Wort. Das dumpfe Stampfen der Pferdehufe und das Klappern des Geschirrs wird nur hin und wieder durch das Schnauben der Rosse unterbrochen. Dann aber blinken plötzlich in der Ferne zahlreiche winzige Lichtpunkte auf. Das Dorf! Friede und Geborgenheit strömen diese kleinen goldgelben Pünktchen aus. Es ist ein beglückendes Gefühl, nach langen und ermüdenden Wegen durch Dunkelheit und Fremde das leuchtende Ziel zu erblicken, das Wärme und menschliche Nähe verheißt.

Dwór Kombornia ist heute ein zu Recht als Märchenschloss tituliertes Hotel

Vor einem kleinen Schloss steigen wir ab. Schlösschen dieser Art sind recht zahlreich in Polen. Es sind die Sitze des polnischen Landadels, und sie entsprechen den Herrensitzen unserer ostdeutschen Gutsbesitzer. Dieses hier ist noch von der sehr bissigen Herrin bewohnt, dient aber gleichfalls dem Kompaniechef als Quartier. Wir treten in das Wohnzimmer. Der Kompaniechef Hauptmann Goßmann sitzt am Tisch bei einer Petroleumlampe. Er ist schon etwas älter. Sein offenes Lächeln und die freundlichen Worte, mit denen er uns empfängt, schaffen sofort eine Atmosphäre der Sympathie und des Vertrauens.

Ich werde im ersten Stock einquartiert und gehe gleich zu Bett. Nach einem langen und tiefen Schlaf erwache ich am nächsten Morgen und stelle fest, dass ich von Flöhen fürchterlich zerstochen bin. Zum ersten Mal in meinem Leben schlief ich in einem Schloss, und zum ersten Man in meinem Leben habe ich Flöhe!


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  1. Die Welt ist klein: Der Autor diente unter Walter Haarhaus, der Herausgeber, sein Sohn, diente unter dessen Sohn Peter Haarhaus!