11. Januar 1944
Im Morgendämmer steige ich aus dem Bunker und erlebe einen Sonnenaufgang, wie ich ihn in solcher Pracht nur noch während meiner Seefahrtzeit[1] auf den Meeren erlebt habe.[2] Die grenzenlose, weite, baumlose Schneelandschaft liegt in blendendem Weiß unter einem zartblauen Himmel. Der östliche Horizont glüht in allen Farben des Rot vom blassen Gelb bis zum brennenden Dunkelrot. Seine brennende Lichtfülle bricht sich in Milliarden von Schneekristallen, die glitzernd und gleißend wie funkelnde Brillanten das Sonnenlicht in winzigen, flimmernden Sternchen tausendfältig zurückstrahlen. Ein hinreißender, überwältigender Anblick. Aber wie alles in diesem merkwürdigen Land von extremen Ausmaßen ist, so steht neben dieser unbeschreiblichen Schönheit der Natur auch ihre bittere Kehrseite: Die extreme, schneidende Eiseskälte. Ich verschwinde also wieder wie ein Maulwurf unter der Erde, rolle mich in meine Decke und versuche, den Tag zu verschlafen. Zuweilen stehe ich mal auf und werfe einen Blick ins Freie. Aber geblendet von der Strahlenfülle des Tageslichts, das die makellos weiße Schneedecke noch vielfältig zurückwirft, ziehe ich mich wieder in die Finsternis meiner Erdhöhle zurück. Die Schönheit von Gottes Natur strahlt hier für uns vergeblich.
Wenn ich schlafe, steht der Feldfernsprecher immer neben meinem Kopf. Da ich einen leichten Schlaf habe, wache ich sofort auf, wenn er rasselt. Der Melder dagegen hat einen Schlaf wie ein Bär. Ehe der munter ist, habe ich das Gespräch erledigt.
••• S. 173 •••Es ist eiskalt, aber es schneit wenig. Immerhin liegt der Schnee so hoch, dass unsere schwere Feldküche achtspännig fahren muss, wenn sie uns das Essen nach vorn bringt. Und dann braucht sie für die achtzehn Kilometer vom Dorf bis zur Front immer noch vier Stunden. Es sind eben unvorstellbare Weiten in diesem Land. Neuerdings bringen sie jedoch das Essen mit Infanteriekarren. Das sind leichte, zweirädrige, geländegängige Karren, von denen ein Pferd auf normalen Wegen mehrere zugleich ziehen kann. Wir schonen auf diese Weise unsere Pferde. Allerdings ist das Essen etwas kälter, denn es muss in Kübeln gebracht werden, die die Wärme nicht so gut halten wie der Kessel in der Feldküche, der unterwegs laufend geheizt wird.
An unserer Front ist jetzt Ruhe. Vielleicht versucht der Iwan jetzt an anderen Fronten sein Glück, nachdem er bei uns kläglich gescheitert ist.
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- ↑ Der Autor hatte einst Handelsschiffsoffizier werden wollen und war auf dem Segelschulschiff „Padua“ nach Chile gereist; darüber hat er ebenfalls Tagebuch geführt.
- ↑ Am 09.01. gab es einen sonnigen Morgen, am 11.01. war es im Armeegebiet zumindest teilweise klar bei -5°C(KTB 6.A., NARA T-312 Roll 1492 Frame 000381/405).