4. Januar 1944
Mir scheint, die Bolschewiki haben meinen Gefechtsstand erkannt, denn ihr Granatwerferfeuer richtet sich deutlich auf meinen Unterstand. Augenblicklich kracht es wieder rund um den Bunker herum. Ich liege mit meinem Kompanietrupp unten. Nur ein Posten steht draußen. Zänng – der war nahe, und im gleichen Augenblick schreit der Posten draußen laut auf. Der Sani und ein Melder kriechen hinaus und ziehen den Körper des Postens durch den engen Eingang in den Bunker hinein. Der Soldat jammert furchtbar. Mir war im ersten Moment ganz flau, aber das ging schnell vorüber. Während der Sani den Verwundeten untersucht, ruft dieser irnmerfort: „Ich bin tot, ich bin tot!“. Es stellt sich aber heraus, dass der Schreck größer war als die Verwundung. Er hat nur einen Splitter durch das Nasenbein bekommen, als die Granate dicht vor ihm auf dem Grabenrand krepierte. Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, fragt er den Sani: „Ist meine Nase noch dran?“
Inzwischen habe ich den zweiten Melder hinausgeschickt, denn die Beobachtung muss fortgesetzt werden. Der Mann druckst herum und hat offensichtlich Angst. Da gehe ich selbst hinaus und übernehme den Beobachtungsposten.
Zweite Verwundung
Wieder ist ein Tag vergangen. Die Dunkelheit fällt über das Land. Da klappert auch schon, wie allabendlich, die Feldküche heran. Sie fährt in eine kleine, aber recht tiefe Mulde, die sich in der Nähe meines Gefechtsstandes befindet. Hierher kommen nun die Essenholer aus den einzelnen Stellungen und ziehen dann mit ihren gefüllten Kochgeschirren wieder ab. Auch ich gehe hinunter, stelle mein Kochgeschirr auf ein Wagenrad der Feldküche und beginne die heiße Suppe zu schlürfen.
Aber auch Iwan scheint das Gerassel gehört zu haben (oder er weiß, dass jetzt der Nachschub heranrollt), denn plötzlich kracht eine ganze Lage von Werfergranaten um mich herum. Zack – wie ein Stich fährt es mir in den Rücken. Verwundet! Die Wunde brennt, aber so schlimm kann es nicht sein, denn sonst könnte ich nicht mehr stehen. Ich spucke einmal aus. Der Speichel ist nicht blutig. Atmen kann ich auch noch. Also ist die Lunge nicht getroffen. Ich löffle also meine Suppe aus und fahre dann mit der Feldküche zum Bataillonsarzt. Außer mir war bei dem Feuerschlag noch ein Unteroffizier durch einen Splitter ins Sprunggelenk verwundet worden. Den Mann hatten sie in einen Infanteriekarren gelegt und das Fahrzeug an die Feldküche angehängt. Beim Bataillonsarzt melde ich uns beide als verwundet. Ich muss meinen Rücken freimachen. Der Doktor bastelt eine Weile an meiner Wunde herum und sagt dann seelenruhig zu mir: „Nun können Sie wieder nach vorn gehen!“. Der Splitter war nicht in den Körper gedrungen, sondern hatte nur meinen Rücken aufgeritzt. Und diesen Streifschuss hatte der Arzt mit Hansaplast zugeklebt. Ich war im Moment etwas enttäuscht. Mein Traum von Lazarett und Ruhe zerrann. Ich kehrte zur Front zurück. Der Unteroffizier aber wurde ins Lazarett gebracht.[2]
Schon mehrmals hatte ich den Kommandeur gebeten, mich mal für einen Tag zum Tross gehen zu lassen, damit ich mich endlich wieder einmal waschen und rasieren konnte. Außerdem könnte ich bei dieser Gelegenheit den Tross einmal inspizieren, was sicher von Vorteil wäre. Jetzt hat Gust es endlich erlaubt. Heute abend fahre ich mit der Feldküche zum Tross zurück.
Lang entbehrte, wohlige Wärme umfängt mich hier in dem russischen Bauern••• S. 172 •••haus. Aber nun erst einmal an die „Körperpflege“. Ich betrachte mich im Spiegel. Vier Wochen lang habe ich mich weder gewaschen noch rasiert. Danach sehe ich auch aus. Die morgendliche Katzenwäsche im Schnee vorn an der Front schien völlig wirkungslos geblieben. Ich lasse mir nun zunächst vom Spieß mit einer Schere den Bart abschneiden, soweit das geht. Dann seife ich mich ein und gehe dem restlichen Bart mit dem Rasierapparat zu Leibe. Anschließend wasche ich mich so gründlich, wie es in einer Waschschüssel möglich ist. Meine Haare sind so verfilzt, dass ich sie dreimal spülen muss, und selbst dann kleben sie immer noch. Zum Schluss wechsele ich die Wäsche, die ich auch schon wochenlang auf dem Leib trage. Dann setze ich mich, frisch rasiert und gut gelaunt, mit dem Spieß an den Tisch und lasse mir eine ordentliche Mahlzeit vorsetzen. Anschließend plaudern wir noch beim Schein der Petroleumlampe, bis die Wärme und der Alkohol ihre Wirkung tun. Ich werde müde und gehe ins Bett, nachdem mir der pfiffige Spieß (die meisten Spieße sind Schlitzohren) noch eine Flasche Schnaps abgehandelt hat. Ich trinke nicht viel, aber ich weiß, dass der Spieß damit gute Geschäfte machen kann. Heute würde ich es anders machen. Ich würde die Flasche mit nach vorn nehmen, für meine Kameraden im Graben.
Ich strecke mich genießerisch im Bett aus. Ein richtiges, weiches, warmes Bett. Ich muss sofort eingeschlafen sein, und als ich die Augen wieder aufschlug, war es heller Tag. Im Lauf des Tages sehe ich mir den Tross an. Die meisten Fahrer sind Russen! Hiwis (Hilfswillige)!
Editorial 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 Epilog Anhang |
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Eine Art Bilanz Gedankensplitter und Betrachtungen Personen Orte Abkürzungen Stichwort-Index Organigramme Literatur Galerie:Fotos,Karten,Dokumente |
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Erfahrungen i.d.Gefangenschaft Bemerkungen z.russ.Mentalität Träume i.d.Gefangenschaft Personen-Index Namen,Anschriften Personal I.R.477 1940–44 Übersichtskarte (Orte,Wege) Orts-Index Vormarsch-Weg Codenamen der Operationen im Sommer 1942 Mil.Rangordnung 257.Inf.Div. MG-Komp.eines Inf.Batl. Kgf.-Lagerorganisation Kriegstagebücher Allgemeines Zu einzelnen Zeitabschnitten Linkliste Rotkreuzkarte Originalmanuskript Briefe von Kompanie-Angehörigen |
- ↑ Truppenkarte 1:50.000 Blatt l-36-10-A (von http//jccalvin.ddns.net), Frontlinie gem. KTB 6.A., NARA T-312 Roll 1468 Frames 000228/37/41/45
- ↑ zur Verwundung vgl. Soldbuch S. 14